Schwelm. Christian nimmt noch einen Löffel Sahne. "Der Hösle war wieder klasse", sagte er grinsend. Im stuckverzierten Speiseraum einer alten Schwelmer Villa sitzen neben ein paar älteren Damen und Herren auch rund 60 adrett gekleidete junge Leute. Sie schlemmen indische Spezialitäten und philosophieren.
Die Inderin Saraswati Albano-Müller hat zum 3. Philosophischen Gastmahl in ihr Haus geladen. Es ist Abend und die junge Leute haben den ganzen Tag nachgedacht über Moral, Ethik und Verantwortung. Auch Christian, 20, Soldat. An der Bundeswehr findet er nicht Unmoralisches. "Ich bin gegen einen rigiden Pazifismus." Er nimmt noch einen Löffel Sahne. "Und außerdem bin ich nur noch eine Woche da." Dann will er Philosophie studieren. "Auch, damit ich den Hösle besser verstehe."
Vittorio Hösle, Ordinarius für Philosophie an der Uni Essen, hat am Morgen einen Vortrag gehalten: "Wie können wir ethischen Handeln begründen?" Der einst kometenhaft am deutschen Philosophenhimmel aufgestiegene 38jährige spricht zehn Sprachen. Eine Perle der Zukunft gibt sich in Schwelm die Ehre.
Jens schiebt noch ein Stück Zwiebelkuchen nach. "Ich erhoffe mir Orientierung für meinen Alltag." Über seinen Hagener Philo-Lehrer Klaudius Gansczyk ist der 18jährige an das Gastmahl gekommen. "Was mache ich an einem momentanen Engpaß?" sagte er etwas angestrengt. "Was hätten Sie damals an der Stelle von Helmut Schmidt gemacht? Hätten Sie den Terroristen nachgegeben?"
Klaudius Gansczyk strahlt. Die Gastmahle sind sein Baby und er sieht es in voller Blüte. "Hier diskutieren Architekten, Richter und Lehrer mit Jugendlichen aus 17 Städten gleichberechtigt über Moral und Verantwortung. Wo gibt es das schon?"
Unterdessen müht sich die indische Hausherrin in der Küche. Hat sie keine Angst um ihre Möbel bei so viel jungem Volk? "Ach wissen Sie", sagt sie etwas versonnen, "wenn es voll ist, sieht man die Flecken auf dem Teppich wenigstens nicht so."
Diskutieren und schlemmen: In Schwelm fand am Wochenende das 3. Philosophische Gastmahl statt. (WR-Bild: Uttelbach)
(Quelle: Westfälische Rundschau, 16. März 1998 )
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