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Stellungnahme zum Frieden in Bosnien im Hinblick auf den kantschen Ansatz

„Es fällt mir schwer, zum Frieden in Bosnien Stellung zu nehmen, ohne vorher über meine geistige und emotionale Entwicklung in den letzten vier Kriegsjahren zu reflektieren, da mir sonst diese Stellungnahme als eine aus dem Kontext gerissene erschiene.

Als vor fast vier Jahren das Morden in Bosnien begann, war ich orientierungslos, ratlos, überwältigt, erdrückt. Fast täglich sah ich im Fernsehen die Bilder zerfetzter Leichen, verwaister Kinder und vergewaltigter Frauen und hörte Berichte über die barbarischsten Foltermethoden. Eine solche Informationsflut über diese Grausamkeiten erzeugte in mir ein geistiges und emotionales Vakuum, da ich mit Emotionen konfrontiert wurde, die einander völlig widersprachen. Jedoch hatte ich auf dieser emotionalen Ebene zumindest die Hoffnung auf den Frieden, die alle anderen widersprüchlichen Emotionen völlig in den Hintergrund drängte und somit ein gewisses Mass an Ordnung in mir erzeugte.

Auf der geistig-rationalen Ebene dagegen herrschte pures Chaos. Ich fand keine rationale Kategorie, in die ich den Krieg einordnen konnte. Den Krieg zu erklären oder gar zu verstehen, schien für mich ein hoffnungsloses Unterfangen zu sein. Er war völlig alogisch und widersprüchlich.

Ausschliesslich der Philosophie -insbesondere Kant- verdanke ich, diese rationale Unbeholfenheit überwunden zu haben. Ich hebe dabei Kant hervor, da er die geschichtliche Entwicklung der Menschheit zur moralischen Reinheit (Weltbürgertum) beschreibt. Diese Entwicklung, so Kant, werde aber auch durch Rückfälle in die Barbarei begleitet sein. Der Krieg in Bosnien war für mich einer dieser Rückfälle. Somit fand ich jene rationale Kategorie, in die ich den Krieg einordnen konnte. Die philosophischen Reflexionen halfen mir durch ihre Abstraktion, eine gewisse Distanz zum Krieg zu schaffen. Insbesondere die kantsche Philosophie bot mir eine makroskopische und abstrakte Ebene an, von der aus ich diesen Krieg in einen weltgeschichtlichen Kontext einbetten konnte. Natürlich geht bei dieser abstrakten Sichtweise die emotionale Anteilnahme verloren. Aber dies nehme ich gezwungenermaßen in Kauf, auch jetzt, da ich über den beschlossenen Frieden reflektieren will.

Was mir bei dem jetzigen Frieden zu denken gibt, ist die Tatsache, dass er nicht durch das ethische Verantwortungsgefühl der Kriegsbeteiligten zustandegekommen ist.

Er ist zum einen durch Gewalteinwirkung von außen (NATO) und zum anderen durch den puren Pragmatismus der Kriegsbeteiligten zustandegekommen. Es handelt sich, pauschal gesagt, um einen "Kantschen Frieden".

Denn das gewaltsame Eingreifen der NATO zeigt, dass die Souveränität des Staates Bosnien ignoriert wurde, um dem Krieg ein Ende zu setzen. Betrachtet man diese ,,Verletzung der Souveränität" von einer abstrakten Ebene, offenbart sich die Kantsche Philosophie. Gemäss Kant wird auf dem Weg der Menschheit zum Weltbürgertum die Souveränität einzelner Staaten eine immer geringere Rolle spielen, wenn grundlegende ethische Werte von diesen Staaten verletzt werden.

Und genau so muss man den ,,Frieden" in Bosnien sehen. Das militärische Eingreifen der NATO-Staaten zeugt aber nicht von einem starken ethischen Gewissen, sondern von ihrer Angst, der Krieg könne sich auf weitere Regionen Europas ausweiten.

Das Eigeninteresse dieser Staaten hat also die entscheidende Rolle gespielt. Denn sonst hätte man schon zu Beginn des Krieges eingreifen müssen. Stattdessen hatte man gehofft, der Krieg werde sich schon von alleine erledigen. Man nahm also die eventuelle Ausrottung des Schwächeren in Kauf. Genau dieser Pragmatismus lässt sich erkennen, wenn man eine

Abstraktionsstufe runtergeht und das Verhalten der Kriegsbeteiligten und ihrer politischen Vertreter analysiert. Auch dann erkennt man nämlich, dass der Friede kein Produkt ethischer Verantwortung ist, sondern als ein Zwang betrachtet wird.

Man will zwar den Gegner vernichten, aber das Risiko ist zu gross, dass dabei die eigene Seite vernichtet wird. Deshalb ist man quasi gezwungen, Frieden zu schliessen. Es kann also nicht die Rede von einem Friedensschluss sein. Es handelt sich um ein Arrangement der Kriegsbeteiligten untereinander.Aber dabei stellt sich doch die Frage, warum erst soviel Leid ertragen werden muss,bevor es zu diesem Arrangement kommt?

An dieser Stelle muss man sich der ungeheuren Wichtigkeit des Weltethosgedankens

bewusst werden. Die Verletzung der drei weltethischen Werte Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Lebensgrundlagen bildet nämlich den Anstoss zu der grausamen Eigendynamik des Krieges. Ist diese Eigendynamik einmal in Gang gebracht, spielen die anfänglichen Kriegsgründe keine Rolle mehr. Der Krieg begründet sich dann nur noch durch sich selbst. Er ist wie ein sich selbst antreibender Fleischwolf, der die betroffenen Menschen mitreisst. Damit es erst gar nicht zu dieser Eigendynamik kommt, müssen die drei Werte Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Lebensgrundlagen unbedingt in Form eines Weltethos geschützt werden. Wir haben also die Wahl, uns entweder durch Kriege wie in Bosnien in das Weltbürgertum treiben zu lassen oder uns unserer Verantwortung bewusst zu werden und somit aktiv das Weltbürgertum herbeizuführen, indem wir nach weltethischen Prinzipien leben.

Ich entscheide mich für das Weltethos. Denn es darf einfach nicht sein, dass die Menschen in Bosnien umsonst gelitten haben.“

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