News
Hintergrund
Begründer
Strategie
Literatur

Links
Impressum
Downloads

16. Januar 2004 - Ein Global Marshall Plan für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft (Basispapier)

In keinem Jahrhundert zuvor erfuhr der materielle Wohlstand der Menschheit einen größeren Zuwachs als im vergangenen. Im Durchschnitt steht jedem Menschen, so Schätzungen, ein etwa zehnfach größerer materieller Wohlstand zur Verfügung, und dies trotz der gleichzeitigen Vervierfachung der Weltbevölkerung. Allerdings ist der Reichtum sehr ungleich verteilt. Über zwei Milliarden Menschen müssen zur Zeit von weniger als 2 Dollar pro Tag leben und über 26.000 Menschen sterben täglich an Unterernährung und dadurch verursachte Krankheiten. Es fehlt immer noch ein konkreter und umfassender Plan, um die Vision zu verwirklichen, dass in dieser Welt niemand mehr in Armut leben muss und wir im Einklang mit den Erfordernissen einer zwar sehr reichen, aber endlichen Natur leben. Die Realisierung einer sehr viel besseren und wohlhabenderen Welt ist möglich. Eine Gesellschaft, die nicht mehr von solcherart Visionen bewegt wird, sondern nur noch vom Management kurzsichtiger Interessen, verspielt ihre Zukunftsfähigkeit. Eine nachhaltige Welt, frei von Armut ist sehr viel reicher und lebenswerter für jeden – reicher in einem weit umfassenderen Wortsinne als nur der rein materiellen Ebene.

Die Initiatoren und Mitträger dieses Textes teilen diese Einschätzung. Mit der hier vorgestellten Initiative möchten sie aufzeigen, dass eine solche Vision konkret und wirksam werden kann. Denn viele kluge und vorausschauende Menschen in aller Welt haben in den vergangenen Jahren an Konzepten und Projekten gearbeitet, wie ein umfassender Global Marshall Plan realistisch umgesetzt werden kann.

Die Autoren und Unterstützer dieses Textes möchten auf die historische und vielleicht einmalige Chance hinzuweisen, auf der Basis dieser Vorarbeiten einen konkreten ökosozialen Global Marshall Plan zu entwickeln und umzusetzen.

Logik und Perspektive für ein ökosoziales Weltwirtschaftswunder

Es gilt die Grundrisse und Perspektiven eines neuartigen umfassenden globalen Planes aufzuzeigen, mit denen die Rahmenbedingungen für eine weltweite Ökosozialen Marktwirtschaft geschaffen werden können. Im Sinne einer Welt-Innenpolitik soll er als Grundlage einer neuen Ära der globalen Kooperation dienen und an die Idee eines Planetary Contract anknüpfen, der starkes weltweites Wirtschaftswachstum mit Umweltschutz, Armutsbekämpfung und demokratischen Gesellschaftsordnungen verbindet.

Die Initiatoren und Mitträger dieses Textes sehen in einem solchen ökosozialen Global Marshall Plan eine realistische Perspektive

•  zur Überwindung der entwürdigenden Armut der Hälfte der Menschheit, die längst als Hauptursache der meisten gegenwärtigen Weltprobleme erkannt wurde,

•  zur erfolgreichen globalen Etablierung ökologischer Standards für eine nachhaltige Entwicklung,

•  zur Überwindung der tiefen kulturellen Frustration und Demütigung eines Großteils der Menschheit und damit zum Austrocknen einer Hauptursache für internationalen Terrorismus,

•  und für ein neues Weltwirtschaftswunder, das die bisher fast völlig brach liegenden Human-Potentiale von mehr als drei Milliarden Menschen befreit, woraus letztlich die gesamte Menschheit immensen Nutzen ziehen wird.

Mehr noch: Ein Global Marshall Plan - zu einer umweltverträglichen Überwindung der extremen Wohlstandskluft in der Welt - würde auch für zahlreiche andere Probleme, die aus einer unbalancierten Globalisierung erwachsen sind, neue attraktive Perspektiven eröffnen. Dazu drei Beispiele:

•  Der immer spürbarer werdende Lohndruck in immer mehr Wirtschaftssektoren der traditionellen Industrieländer kann in einer globalisierten Weltgesellschaft mittelfristig nur auf einem Weg wieder gemildert werden: Der Wohlstand und damit auch die Löhne müssen in den sich entwickelnden Länder steigen. Dies erleichtert auch die Sicherung der Arbeitsplätze in den Industrieländern durch erhöhte Nachfrage auf den Weltmärkten und durch eine geringer werdende Lohnkluft.

•  Armut ist, wie Klaus Töpfer, Generalsekretär der UN-Umweltorganisation UNEP, richtig feststellte, eine der Ursachen für Umweltzerstörungen in den ärmeren Ländern. Denn wer um das tägliche Überleben kämpft, wird nur schwer für Umweltschutz zu gewinnen sein. Dies gilt vor allem für Länder in denen der Schutz der Umwelt zu Lasten der wenigen vorhandenen Entwicklungschancen erfolgen soll. In weiten Bereichen der Welt ist die Umsetzung ökologischer Ziele daher nur realistisch, wenn diese unmittelbar mit der aktiven Förderung sozialer und ökonomischer Entwicklung verknüpft ist.

•  Das Leitbild einer offenen, friedlichen, demokratischen, rechtsstaatlichen und gebildeten Bürgergesellschaft gilt vielen als der beste Garant für eine gute und dynamische Zukunftsperspektive aller Gemeinwesen, erst recht in einer hochkomplexen Weltgesellschaft. Ein solches Leitbild und eine solche Entwicklung können am besten durch einen ökosozialen Global Marshall Plan vorangebracht werden.

Die zugrunde liegende Logik ist einfach: Investitionen, abgestimmte Marktöffnungen und Co-Finanzierungen in vielen Bereichen werden im Gegenzug für die Angleichung sozialer, ökologischer und demokratischer Standards geleistet. Auf diese Weise entsteht – angelehnt an die erfolgreichen EU-Erweiterungsprozesse - eine Form der gezielten globalen Armutsüberwindung, die sehr starke neue Wirtschaftsimpulse für die betreffenden Regionen wie die gesamte Weltwirtschaft freisetzt. Durch die Koppelung des neuen Wachstums mit klaren ökologischen Standards wird gleichzeitig eine starke Ökologisierung des Wirtschaftens gefördert. Die neuen ökonomischen, ökologischen und sozialen Perspektiven bewirken schließlich einen starken Impuls zur inneren Befriedung der Weltgesellschaft, was wiederum eine wichtige Voraussetzung für ein ebenso anhaltendes wie nachhaltiges Gedeihen der Wirtschaft darstellt. Die positiven Effekte und das überdurchschnittliche Wirtschaftswachstum der am Global Marshall Plan beteiligten Länder wird gleichzeitig einen starken Sog auf diejenigen Regime verstärken, die sich einer ökosozialen Entwicklung bisher verschlossen haben und den Druck auf sie verstärken, einer solchen Entwicklung Raum zu geben, Korruption abzubauen und Good-Governance zu fördern.

Zusammengefasst geht es also darum, auf globaler Ebene geeignete Ordnungsprozesse mit Wettbewerbsmechanismen zu koppeln, um humane Potentiale, Ressourcen und Infrastrukturen mit gut durchdachten institutionellen Lösungen zu Wertschöpfungssystemen zu verbinden.

Ein Global Marshall Plan überwindet alte Interessensgegensätze

Die bisher angesprochenen Zusammenhänge deuten darauf hin, dass ein Global Marshall Plan eine ungewöhnlich breite Unterstützung finden könnte – auch von gesellschaftlichen Gruppierungen, die sich bisher eher skeptisch bis feindlich gegenüberstehen. Eines der überraschenden Zwischenergebnisse des bisherigen Verlaufs dieser Initiative ist, dass diese von Unternehmern und Unternehmensverbänden ebenso unterstützt wird wie von scharfen Kritikern der bisherigen Form von Globalisierung, und ebenso von Vertretern aus „Nord“ wie aus „Süd“. Bekannte Repräsentanten aller großen politischen Strömungen, ebenso wie Protagonisten aller gesellschaftlichen Sektoren und Vertreter global operierender Netzwerke der Weltzivilgesellschaft sprachen sich vehement für diese Initiative aus:

Am 16. Mai 2003 trafen sich in Frankfurt/M. Repräsentanten von einem Dutzend sehr unterschiedlicher Nichtregierungsorganisationen wie Club of Rome, Club of Budapest, BUND, UnternehmensGrün, dem Ökosozialen Forum Europa und Attac, um die Initiative für einen ökosozialen Global Marshall Plan zu starten. Sie waren sich einig, dass der Entwurf eines solchen globalen Plans um so besser und erfolgreicher wird, je mehr hier Wirtschaft und Zivilgesellschaft, sowie wohlhabende und weniger wohlhabende Länder zusammenarbeiten. Den Zeitpunkt ihrer ersten öffentlichen Präsentation am 11. Oktober 2003 in Stuttgart bezeichnete Hans-Dietrich Genscher, früherer deutscher Außenminister und bekannter liberaler Politiker, als „historische Stunde“, an die sich künftige Generationen erinnern werden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich dieser Initiative bereits mehr als 70 prominente Persönlichkeiten aus aller Welt angeschlossen und eine gemeinsame „Global Marshall Plan Declaration“ als „Stuttgarter Erklärung“ unterzeichnet – Repräsentanten konservativer, sozialdemokratischer, liberaler wie grüner Parteien, von Unternehmern und Unternehmerverbänden bis zu engagierten Nichtregierungsorganisationen, unter ihnen Marktwirtschaftler, Globalisierungskritiker, Nobelpreisträgern, Wissenschaftler, religiöse Führer, Künstlern und Journalisten. Viele sprachen dabei von „der vielleicht wichtigsten Initiative der vergangenen Jahrzehnte“.

Am 15. November 2003 trafen sich in Hamburg 70 Vertreter zahlreicher NGO's und mehrere Wirtschaftsverbände. Sie waren der Meinung, dass die bisherigen Ansätze dieser Initiative, die nachfolgend kurz vorgestellt werden sollen, eine reelle Chance zu einem breiten gesellschaftlichen Brückenschlag eröffnen.

Ein erster Entwurf für einen ökosozialen Global Marshall Plan

Die folgenden Ausführungen sind als Anregung zu verstehen. Keineswegs soll damit der Eindruck erweckt werden, dass damit das Design für einen ökosozialen Global Marshall Plan, im Sinne eines Planteary Contracts, weitgehend fertig gestellt oder gar nur vorgezeichnet sei. Anliegen dieses Textes ist es viel mehr, die Realisierbarkeit und Finanzierbarkeit eines solchen globalen Aufbauplans für eine besser balancierte Zukunft deutlich zu machen . Ansonsten ist er nur eine Eingabe in die notwendigen Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse von Wirtschaft, globaler Zivilgesellschaft und Politik auf dem Weg zu verbesserten und balancierteren Rahmenbedingungen, der hoffentlich bald beschritten wird. Anliegen der Initiative ist es, dass Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und globale Zivilgesellschaft aktiv die inhaltliche Gestaltung dieses Global Marshall Plans in Angriff nehmen. Die Qualität und der Erfolg eines Global Marshall Plans werden entscheidend von deren Engagement und der Einbringung ihrer Vorstellungen und Erfahrungen abhängen.

Die Initiatoren für einen Global Marshall Plan wollen damit den nötigen Startimpuls geben, bis dieser in hinreichender Form von der Weltgemeinschaft aufgegriffen wird. Sie knüpfen an frühere Impulse an, die den Weg zu einem globalen ökologischen bzw. ökosozialen Global Marshall Plan bereits vorgezeichnet haben – beispielsweise von Franz Alt , Kofi Annan , Lutz Wicke , Susan George , Michail Gorbatschow , Al Gore , Hans Küng und George Soros . Die Beteiligten haben sich in der “Global Marshall Plan Declaration“ vorgenommen, nicht nachzulassen, bis ein Global Marshall Plan endlich zur Realität wird.

Das Ziel und die erste Phase

Nach Untersuchungen von Franz Josef Radermacher könnte das Weltbruttosozialprodukt in 50 bis 100 Jahren verzehnfacht und gleichzeitig eine soziale Balance erreicht werden, wie sie heute beispielsweise in Europa vorliegt. Hierbei steht der Vervierfachung der Bruttoinlandsprodukte (BIP) der Industrieländer eine Erhöhung der BIP der ärmeren Länder um den Faktor 34 gegenüber. Dank des technischen Fortschritts, in Verbindung mit einer entsprechend erhöhten Ökoeffizienz und sehr weitgehenden Dematerialisierungen ist dabei ein umfassender Schutz der Umwelt und insgesamt eine nachhaltige Entwicklung möglich.

Die nachfolgenden Vorschläge nehmen Bezug auf die Entscheidungsstrukturen der EU und internationaler Organisationen und betreffen die erste Phase eines Global Marshall Plans, die bis zum Jahr 2015 angesetzt ist. Dabei erweist es sich als positiv, richtungsweisend und letztlich als Schlüssel für den hier entwickelten Vorschlag, dass die Weltgemeinschaft der Nationen in den vergangenen zehn Jahren bereits zu einem sehr breiten Konsens über grundlegende Ziele und Schritte für eine gemeinsame friedliche, prosperierende und nachhaltige Entwicklung gefunden hat. Die Ergebnisse eines Jahrzehnts des Ringens um eine global verträgliche Zukunftsperspektive aller Nationen, die durch eine beispiellose Serie von UN-Konferenzen in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zustande kamen, wurden noch einmal beim Millennium-Gipfel im Jahr 2000 durch die dort anwesenden über 150 Staatsoberhäupter einstimmig bekräftigt. Aus dieser UN-Konferenz sind die so genannten UN Millennium Development Goals hervorgegangen, die exakt das beschreiben, worauf sich die erste Phase eines Global Marshall Plans fokussieren soll. Sie umfassen bis zum Jahr 2015 u.a. folgende Punkte:

•  Weltweite Halbierung der Anzahl der Personen, deren Einkommen weniger als einen Dollar pro Tag beträgt (zur Zeit noch mehr als eine Milliarde)

•  Ermöglichung des Besuchs eines vollen Grundschulprogramms für alle Kinder

•  Senkung der Kindersterblichkeit auf ein Drittel der heutigen Werte

•  substanzielle Verbesserungen bei der Gesundheit von Müttern

•  Umkehrung des Trends bei HIV/AIDS, Malaria und anderen epidemischen Krankheiten

•  Umkehrung des Trends beim Verlust von Umweltressourcen

•  Halbierung der Anzahl der Menschen, die keinen Zugang zu gesundem Trinkwasser haben (heute über eine Milliarde)

•  Herbeiführung einer neuartigen Partnerschaft für Entwicklung; Insbesondere durch (1) die Entwicklung eines offenen Welthandels- und Weltfinanzsystems unter geeigneten Rahmenbedinungen, das national und international eine Verpflichtung zu Good Governance beinhaltet sowie (2) Aktivitäten zur Armutsüberwindung, z. B. bzgl. der Schuldenproblematik von besonders armen Ländern, (3) die Schaffung von sinnstiftenden und produktiven Arbeitsmöglichkeiten, besonders für Jugendliche, (4) Sicherstellung eines bezahlbaren Zugangs zu wichtigen Medikamenten in Zusammenarbeit mit Pharmafirmen und (5) Zugang für Alle zu den Vorteilen moderner Technologie, vor allem im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie, und damit Anstrengungen zur Überwindung der digitalen Spaltung.

Alle zentralen internationalen Organisationen haben sich diese Ziele zwischenzeitlich zu eigen gemacht, also z.B. die Welthandelsorganisation (WTO), die Weltarbeitsorganisation (ILO), United Nations Environmental Program (UNEP), die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IMF).

Die Nagelprobe auf die Handlungsfähigkeit der Politik auf globaler Ebene:

Finanzierung und Implementierung

Doch alle diese richtigen und notwendigen Erklärungen und Vereinbarungen wurden bisher nur in einem höchst entmutigenden Ausmaß umgesetzt. Wenn die offensichtliche Kluft zwischen Willenserklärung einerseits und Handlungskraft andererseits nicht rasch überwunden wird, droht – neben der weiteren Eskalation der globalen Probleme – vor allem eine dramatische Zuspitzung der Vertrauenskrise in die Entscheidungsträger auf allen Ebenen und die Handlungsfähigkeit der Politik. Eine ganze Generation globalverantwortlich denkender Menschen in allen Ländern der Welt hat sich auf den zuvor beschriebenen aufwendigen Prozess der globalen Zielfindung eingelassen und sich dafür engagiert. Es wäre ein großer Verlust an Zukunftsfähigkeit, wenn dieses Potential sich aus Enttäuschung zurückziehen würde.

Die Phase der Verständigung auf global verantwortungsvolle Ziele und Schritte muss daher nun mit höchster Dringlichkeit abgelöst werden durch eine Phase der entschiedenen Umsetzung der globalen Vereinbarungen . Deren Initiatoren sehen die Auflösung der Lähmung bei der Umsetzung global adäquater Standards durch Ermöglichung von Konstellationen, die für alle Beteiligten gewinnbringend sind, als die wichtigste Aufgabe der nächsten Jahre und als Einstieg in eine neue Qualität globaler Handlungsfähigkeit an. Dies betrifft insbesondere die Fragen der Finanzierung und der Umsetzungsmechanismen eines solchen Global Marshall Plans im Sinne eines Planetary Contracts.

Die Finanzierung des Global Marshall Plans

Der noch nicht gedeckte Finanzbedarf für die Erreichung der Millennium Development Goals liegt nach einer Analyse der Vereinten Nationen, dem so genannten Zedillo-Report (2001), bei etwa 50 Milliarden Dollar pro Jahr . Hinzu kommen 20 Milliarden Dollar jährlich, die für die Bereitstellung globaler öffentlicher Güter benötigt werden, um die grundlegenden Rahmenbedingungen für eine optimierte globale Ökosoziale Marktwirtschaft zu gewährleisten. Diese Zahlen decken sich mit einem Bericht des britischen Schatzkanzlers Gordon Brown , der anlässlich der Weltkonferenz Rio + 10 in Johannesburg in 2002 erschienen ist, sowie mit den Analysen von George Soros . Die Initiative legt daher diesen zusätzlichen Finanzbedarf für ihre eigenen Überlegungen zugrunde, wobei durch verbindliche Zusagen ab 2006, 12 Milliarden Dollar dieser zusätzlich benötigten Mittel jährlich bereits abgesichert sind. Da jedoch die bisherigen Studien von einer Bereitstellung der Gelder ab 2001 ausgingen, um die Millenium Goals bis 2015 zu erreichen, und die Implementierung eines Global Marshall Plans voraussichtlich nicht vor 2008 möglich sein wird, ist ab 2008 mit einem jährlichen Finanzvolumen von durchschnittlich etwa 120 Milliarden Dollar auszugehen, das in progressiver Weise bereitgestellt werden soll (vgl. 19 )

Zur Einordnung dieser Größenordnung sei auf folgende Vergleichszahlen verwiesen: Die Zinszahlungen des „Südens“ an den „Norden“ liegen zur Zeit pro Jahr bei etwa 136 Milliarden Dollar. Die jährlich nicht gezahlten Steuern allein unter Ausnutzung der internationalen Offshore-Bankplätze werden auf etwa 50 Milliarden Dollar geschätzt. Die öffentlichen Haushalte in Deutschland liegen zur Zeit bei einem Volumen von etwa 1.000 Milliarden Euro pro Jahr. Allein die Subventionen der Industrieländer für ihre Landwirtschaft belaufen sich jährlich auf über 300 Milliarden Dollar. Der US-Kongress verabschiedete für die Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan für das Jahr 2003 insgesamt 87,5 Milliarden Dollar, wovon 19,8 Milliarden auf humanitäre Hilfe und Wiederaufbau entfallen. Die Gesamtsumme der internationalen Entwicklungshilfe liegt derzeit bei 56 Milliarden Dollar, was etwa 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Geberländer entspricht. Durch den vorgeschlagenen Global Marshall Plan würde sich dieser Anteil durchschnittlich auf etwa 0,43 Prozent, in der Endphase über 0,6 % erhöhen, was noch immer deutlich von den 0,7 Prozent entfernt wäre, auf die sich die Weltgemeinschaft bereits vor Jahrzehnten als Ziel verständigt hatte. Als Vergleichsgröße mag ferner das Volumen des Marshall Plan der USA nach dem Zweiten Weltkrieg zugunsten Europas dienen. Dieser Plan wurde über einen Zeitraum von vier Jahren mit durchschnittlich 1,3 Prozent des BIP der USA finanziert. Der EU Haushalt liegt zur Zeit bei gut 1 Prozent des BIP Wertes der EU.

Diese Zahlen machen deutlich, dass der vorgeschlagene Globale Marshall Plan finanzierbar ist. Ein einzelnes Land traf nach dem Zweiten Weltkrieg die Entscheidung zu einem konzentrierten Entwicklungsplan für das kriegszerstörte und ausgezehrte Europa, finanziert allein aus dem eigenen Haushalt. Dieser Marshall Plan trug entscheidend zum europäischen Wirtschaftswunder, zu einer sehr erfolgreichen inneren wie äußeren Befriedung und zu einem erfolgreichen breiten Wohlstandsanstieg in Europa bei. Aber auch das Geberland profitierte nachdrücklich von der Friedensdividende seiner klugen Entscheidung.

Mit der friedlichen Umgestaltung Osteuropas durch Gorbatschows Perestroika entstand die Chance zu einer noch weit größeren, zu einer historisch bisher einmaligen Friedensdividende: Die Rüstungsausgaben sanken von 1210 Milliarden Dollar 1985 auf 804 Milliarden im Jahr 1998. Allein mit diesem jährlichen Differenzbetrag von über 400 Milliarden Dollar könnte man den Global Marshall Plan drei bis vier Jahre lang finanzieren. Stattdessen wurde der Anteil der Entwicklungshilfe im gleichen Zeitraum in den meisten Ländern gekürzt, in nicht wenigen um die Hälfte. Die Kluft zwischen Arm und Reich in der Welt erweiterte sich in keinem Jahrzehnt mehr als in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Es war ein Jahrzehnt zutiefst enttäuschter Hoffnungen. Wollen wir diesen offensichtlich höchst gefährlichen Weg nicht weitergehen, so ist es jetzt an der Zeit, eine neue globale Friedens- und Entwicklungszusammenarbeit zu organisieren.

Neue Finanzierungsinstrumente für globale Entwicklungsaufgaben

Weltweite Entwicklung erfordert neben Marktöffnungen und neuen Umsetzungsmechanismen auch die oben genannten finanziellen Mittel für eine internationale Zusammenarbeit. Trotz der prinzipiellen Möglichkeit, die erforderlichen Beträge aus den nationalen Haushalten bereitzustellen, schlägt die Initiative aus grundsätzlichen und verfahrenstechnischen Erwägungen einen anderen Weg für die Bereitstellung dieser Mittel vor, nämlich die Nutzung intelligenter neuer internationaler Finanzierungsmechanismen, die erstens neue Potentiale der Globalisierung zugunsten der Finanzierung internationaler Entwicklung nutzen, zweitens negative Effekte der Globalisierung dämpfen und schließlich aber die Potenziale einer freien Marktwirtschaft nicht beeinträchtigen. Zum einen werden dadurch die nationalen Haushalte nicht direkt zusätzlich belastet, zum anderen können die dadurch generierten Gelder besser von nationalen Interessen der Geberländer entkoppelt werden. Ferner wird es dadurch erleichtert, synchron voranzuschreiten. Die Abhängigkeit von nationalen Interessen hat in der Vergangenheit immer wieder die Effizienz von Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit beeinträchtigt und in der Folge auch das öffentliche Ansehen nationaler Entwicklungshilfeprogramme deutlich gemindert. Die Entscheidung für neue Finanzierungsinstrumente auf globaler Ebene kann somit sowohl die politische als auch die öffentliche Akzeptanz für einen Global Marshall Plan entscheidend verbessern, natürlich nur in Verbindung mit neuen wirkungsvollen Umsetzungsmechanismen.

Gerade bei der Darstellung der nachfolgenden innovativen Finanzierungsmechanismen sei noch einmal betont: Diese Überlegungen geben lediglich den augenblicklichen Stand in einem offenen Prozess des Nachdenkens der bisherigen Träger dieser Initiative wieder. Wenn in Folge dieses Prozesses andere Ideen und Konzepte wirksam würden, wäre dies aus Sicht der Initiatoren völlig in Ordnung. Die Vorschläge sind innovativ. Sie ergänzen den bereits angesprochenen alternativen Ansatz, Mittel unmittelbar über die Staatshaushalte bereitzustellen oder den ebenfalls attraktiven Weg, besonders umwelt- oder sozialbelastende internationale Prozesse oder einen Verbrauch global kritischer Ressourcen wesentlich zur Finanzierung heranzuziehen (z.B. Handel von CO 2 -Emmissionsrechten). Es gibt gute Gründe, warum aus pragmatischen Gründen diese Ansätze hier in einer mittelfristigen Perspektive als nicht besonders erfolgversprechend angesehen werden und auch gute Gründe, warum die üblichen Argumente gegen die drei nachfolgenden genannten Ansätze in der hier vorgeschlagenen Konstellationen nicht stichhaltig sind .

1. Sonderziehungsrechte beim Internationalen Währungsfonds (IWF)

In der kurzen Zeit nach seiner ersten Vorstellung erfuhr der Vorschlag des international renommierten Finanzexperten George Soros (z. B. „Report on Globalization“, 2001) zur Nutzung der Sonderziehungsrechte des IWF zur Entwicklungsfinanzierung breite Unterstützung in der Fachwelt. So beinhaltet sowohl der Zedillo-Report als auch das Weissbuch von Gordon Brown diesen Vorschlag ebenso.

Als Sonderziehungsrechte bezeichnet man Kredite, die einem Land im Verhältnis zu der von ihm in den IWF-Fonds eingezahlten Quote zur Verfügung stehen. Ein Effekt ergibt sich daraus, dass Entwicklungsländer Teile der Quote in ihren eigenen oft schwächeren Währungen einzahlen, Kredite aber in stabilen Währungen aus dem Währungskorb ausbezahlt bekommen. George Soros schlägt vor, solche Sonderziehungsrechte in Zukunft jährlich zuzulassen. Den ärmeren Ländern würde hierdurch ein Mehr von etwa 10 Milliarden Dollar für Entwicklungsaufgaben zufließen. George Soros Vorschlag geht aber noch weiter: Zusätzlich sollen die reichen Länder ihren Teil der Quote von 18 Milliarden Dollar für Entwicklungsfinanzierung bereitstellen. Dies könnte eine wichtige Finanzbasis für einen Global Marshall Plan bilden.

In dem vorliegenden Vorschlag wird darüber hinausgehend ein jährliches Volumen von insgesamt 30-40 Milliarden Dollar Transfer in den Süden aus Sonderziehungsrechten vorgesehen. Die entsprechenden Möglichkeiten der Geldschöpfung durch die Zentralbanken von reichen Ländern oder Ländergruppen würden sich dadurch reduzieren, aber in einem vertretbaren Umfang.

2. Tobin-Abgabe auf globale Finanztransaktionen

Von verschiedenen Seiten wird der Vorschlag einer so genannten Tobin-Abgabe auf globale Finanztransaktionen eingebracht, um damit globale Entwicklungsziele zu finanzieren. Der Vorschlag findet breite Unterstützung zahlreicher Fachleute, darunter auch ausgewiesene Finanzmarktkenner wie George Soros. Seine Gegner führen ins Feld, dass dadurch die "kollektive Intelligenz" in der Steuerung die sehr empfindlichen globalen Finanzströmen belastet würde. Dem steht aber entgegen, dass sich gerade in den jüngsten Auswüchsen und "Blasen" an den internationalen Kapital- und Finanzmärkten sowie auch im Bereich der New Economy diese Intelligenz als nicht sehr weitreichend erwiesen hat. Ansonsten ist auch nur eine vorsichtige Nutzung dieses Instruments, und dies nur auf globaler Ebene vorgesehen.

Die Initiative schlägt dazu einen vorsichtigen Einstieg in eine weltweite Tobin-Abgabe von zunächst 0,01 Prozent auf globale Finanztransaktionen vor, der bei entsprechend positiven Erfahrungen auf 0,02 Prozent erhöht werden kann. Durch eine derart minimale Tobin Abgabe könnten jährlich 30 - 40 Milliarden Dollar für den vorgeschlagenen Global Marshall Plan bereitgestellt werden.

3. Terra-Abgabe auf den Welthandel

Nicht nur finanztechnische, sondern vor allem auch gravierende systemische Gründe sprechen, entgegen marktfundamentalistischen Positionen, für die Einführung einer Welthandelsabgabe, der so genannten Terra-Abgabe , die Prinzipien des "fairen Handels" aufgreift, für den sich u. a. die Kirchen und Entwicklungs-NGO's, aber auch bestimmt Industrieverbände schon seit Jahren einsetzen. In den vergangenen Jahrzehnten fand eine radikale Veränderung der Weltwirtschaft statt. Ein Teil der Wirtschaft und der sie tragenden Unternehmen haben sich sehr weit reichend globalisiert, ein anderer Teil konnte diesen Weg aus unterschiedlichen Gründen nicht mitgehen, teils aus strukturellen Gründen, teils aufgrund der regionalen Gebundenheit ihrer Produkte. Der globalisierte Teil der Wirtschaft konnte und kann sich immer weitergehend der nationalen Besteuerung wie auch der Einhaltung von national gesetzten Standards entziehen und erlangte dadurch einen immensen Wettbewerbsvorteil gegenüber national gebundenen Unternehmen. Die fünfzehn größten Transnationalen-Unternehmen der Welt kontrollieren gemessen am Wert Ihrer Umsätze mehr Wirtschaftleistung als die 60 ärmsten Staaten der Welt zusammengenommen. Die Nationen konnten die Steuerausfälle nur durch eine Kombination von Sparen und Höherbelastung der Bürger und der national gebundenen Unternehmen ausgleichen, womit auch ein sozialer Rückbau verbunden war.

Ein sehr tief greifendes systemisches Problem entstand, dessen Ursachen und Auswirkungen noch viel zu wenig diskutiert werden. Wenn es nicht sehr bald wieder zu ausbalancierten Wettbewerbsbedingungen mit einer ausgewogenen Besteuerung aller Bereiche und Akteure in der Wirtschaft kommt, leiden hierunter nicht nur die kommunalen und nationalen Haushalte. Die Existenz der regional gebundenen, vor allem klein- und mittelständischen Unternehmen wäre ernsthaft gefährdet wie letztlich das System der Ökosozialen Marktwirtschaft insgesamt. Die Einführung einer Welthandelsabgabe, die vor allem jene Bereiche der Wirtschaft betrifft, die die Vorteile der Globalisierung spezifisch für sich nutzen können, ist vor diesem Hintergrund eine systemische Notwendigkeit, um wenigstens einen aller-ersten Schritt zu einem wieder etwas gerechteren weltweiten Steuersystem zu tun. Bei aller Reformbedürftigkeit der traditionellen Sozialsysteme in Richtung auf mehr Eigenverantwortung darf die finanzielle Absicherung von gesellschaftlichen Investitionen für Bildung, Forschung, Gesundheit, Infrastruktur etc. nicht systemisch ausgehöhlt werden. Sonst würden unsere Gesellschaften in Zukunft ärmer sein, als sie sein müssten.

Zur Finanzierung des Global Marshall Plans bietet sich deshalb als ein drittes Element die Etablierung einer Terra-Abgabe auf den Welthandel in Höhe von z. B. 0,35 bis 0,5 Prozent vor. Sie würde alle Bereiche des Welthandels gleichermaßen betreffen. Da die Welthandelsanteile in Endprodukte meist den kleineren Anteil ausmachen, ist diese Belastung in den Endprodukten im Einzelfall kaum spürbar. Bei Benzin liegt sie in Deutschland bei etwa 1 Promille, d. h. bei etwa 0,1 Cent pro Liter. Bei einem derzeitigen Stand des Welthandels im Volumen von 8,5 Billionen Dollar würde eine solche Abgabe dennoch 30-40 Milliarden Dollar zu generieren erlauben.

Alle drei Vorschläge haben ferner folgende Vorteile:

•  Sie erfordern bei der Bereitstellung der Mittel fast keinerlei zusätzliche Bürokratie, da die vollständige Erfassung der meisten hierfür erforderlichen Wertfeststellungen ohnehin bereits wegen der Zollabfertigung und der Mehrwertsteuerthematik gewährleistet ist.

•  Da die vorgeschlagenen Maßnahmen des Global Marshall Plans den Zugang neuer Akteure auf den Weltmärkten fördern, sind sie zugleich ein Instrument zur Stärkung des Wettbewerbs und zur Aufhebung vorhandener Wettbewerbsverzerrungen.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen zu den Sonderziehungsrechten und zur Tobin-Abgabe sollten über den IWF realisiert werden, der Vorschlag zur Einführung der Terra-Abgabe sollte Thema einer der nächsten WTO-Runden im Rahmen eines übergeordneten Bemühens um einen Global Marshall Plan werden. Die Kompetenz dieser Institution in finanziellen- und Wirtschaftsfragen soll die Effizienz in der Nutzung dieser Mittel für Entwicklung wesentlich fördern.

Umfassende Standards mit dem Global Marshall Plan implementieren

Bei der Umsetzung des Global Marshall Plans müssen frühere Fehler in der Entwicklungszusammenarbeit vermieden werden. Nur so kann er die erstrebte Wirkung entfalten und damit eine breite und dauerhafte Unterstützung in der globalen Zivilgesellschaft, aber auch in Wirtschaft und Politik erlangen. Als geeignetster Weg dazu erscheint in erster Linie die Verknüpfung von ethischen, ökonomischen, ökologischen, sozialen, kulturellen und demokratischen Standards mit einem solchen Programm. Die Vergabe der Mittel darf weder durch kurzsichtige wirtschaftliche Interessen der Geberländer beeinflusst sein noch durch kurzsichtige Machtinteressen von Eliten in den Nehmerländern. Dies kann am besten durch die konsequente Orientierung an Standards, eine damit verbundene Rechenschaftspflicht, einen Einbezug der Wirtschaft und eine aktive und transparente Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Organisationen erreicht werden.

Für die erste Phase des Global Marshall Plans wird die Anwendung folgender Standards angestrebt, für die bereits ein breiter Konsens der UN Mitglieder gefunden wurde:

•  die Kern-Standards der Weltarbeitsorganisation (ILO) wie Organisationsrecht, Gleichbehandlung von Mann und Frau, Verbot der Kinderarbeit etc., die weitgehend deckungsgleich sind mit den grundlegenden wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten, auf die ebenfalls Bezug genommen werden sollte.

•  die Standards der internationalen Umweltabkommen.

Wenn man diese Kriterien bei der Mittelvergabe anwendet, muss man sich bewusst sein, dass die Nichtbeachtung einiger dieser ökologischen und sozialen Standards in manchen Bereichen die wichtigsten Wettbewerbsvorteile der betreffenden, in der Regel ökonomisch zurückliegenden Regionen darstellen. Das Beispiel der EU Erweiterung zeigt, dass dennoch Vereinbarungen über die Anwendung von gemeinsamen hohen Standards und Schutzniveaus erreicht werden können, wenn gleichzeitig eine Co-Finanzierung der Entwicklung der schwächeren Partner durch die entwickelten Ländern sichergestellt wird. Diese Kopplung ist für alle Beteiligten gewinnbringend. Für den Erfolg des Global Marshall Plans ist daher aus Sicht der Initiative neben weiteren abgestimmten Marktöffnungen eine gut balancierte Verknüpfung von Standardimplementierung und Co-Finanzierung von entscheidender Bedeutung.

Die bisher wirkungsvollsten Durchsetzungsmöglichkeiten von Standards auf globaler Ebene liegen bei der Welthandelsorganisation (WTO). Die WTO unterscheidet sich durch zwei Merkmale entscheidend von anderen internationalen Organisationen: Sie ist in ihrer Entscheidungsfindung nach dem Kon-sensprinzip organisiert und ermöglicht damit nicht nur den reicheren, sondern auch den ärmeren Ländern eine Art Vetorecht bezüglich ihrer weiteren Ausgestaltung. Darüber hinaus verfügt sie über eine ausgesprochen wirkungsvolle Gerichtsbarkeit mit massiven Sanktionsmöglichkeiten durch die Genehmigung von Strafzöllen.

Die WTO geriet dennoch wie keine andere internationale Organisation in die Kritik, vor allem weil sie sich - ihrem Mandat entsprechend – bisher ausschließlich solchen Themen angenommen hat, die den Freihandel fördern, und dabei ökologische, soziale und kulturelle Aspekte weitgehend unberücksichtigt ließen. Seit dem Scheitern des WTO-Gipfels in Cancún ist jedoch klar, dass die ärmeren Länder künftig von ihrem Vetorecht Gebrauch machen werden, wenn ihnen die Vereinbarung insgesamt unausgewogen und ungerecht erscheinen.

Die Autoren dieses Textes schlagen vor diesem Hintergrund die Verknüpfung von Handelsregeln mit den oben erwähnten sozialen, kulturellen und ökologischen Standards zu einem kohärenten, auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Global-Governance-System vor. Dies muss eine oberste Rechtsautorität durch Integration der WTO-Ebene mit anderen globalen Regimen beinhalten. Alle Elemente eines zukünftigen globalen Ordnungsrahmens sollten dann bei Nichtbeachtung mit denselben Klage- und Sanktionsmöglichkeiten versehen werden. Die Gleichstellung von Handels-, Umwelt- und Sozialstandards über eine Verknü0fung mit der WTO ist – gemeinsam mit der Bereitstellung der erforderlichen Mittel für den Global Marshall Plan – eine Kernforderung unserer Initiative. Die Widersprüchlichkeit zwischen den Regelwerken heutiger internationaler Organisationen wie ILO und WTO, die einer Umsetzung eigentlich bereits anerkannter Standards zuwiderläuft, ist mit einem demokratischen Rechtsverständnis nicht zu vereinbaren und muss daher mit höchster Priorität in Richtung auf ein kohärentes Global-Goverance-System im Sinne eines Planetary Contracts überwunden werden. Ein neuer „Global Deal" der Standardangleichung, flankiert durch- Co-Finanzierungsmaßnahmen, scheint hierfür der Schlüssel zu sein.

Für die hier vorgeschlagene Durchsetzung globaler Standards in allen Bereichen schlägt die Initiative eine generelle Orientierung an den international anerkannten ILO und Umweltstandards vor. Darüber hinaus ist auch eine Orientierung an den Prinzipien eines Weltethos 11 und der sogenannten Earth Charter sinnvoll. Die Earth Charter wurde in einem jahrelangen Prozess unter Einbeziehung einer bisher einmaligen Breite der unterschiedlichsten Kulturen und der globalen Zivilgesellschaft entwickelt. Ein Schlüsselgedanke ist dabei der hohe Respekt vor der Vielfalt der natürlichen und menschlichen Systeme. Vielfalt führt generell zu einer Verbesserung der Lern- und Anpassungsfähigkeit von Systemen und zu einer höheren Robustheit gegen sich verändernde Bedingungen. Daher kommt ihr höchste Bedeutung im menschlichen Zusammenleben zu. Die Geschichte der Weltreligionen zeigt eindrucksvoll, dass gemeinsame Grundwerte des Zusammenlebens, bei einem vernünftigen Verständnis, keineswegs im Widerspruch zu kultureller Vielfalt stehen.

Einsatz der Mittel aus einem Global Marshall Plan

In einer globalisierten Welt haben entsprechend der vorliegenden Erkenntnisse alle Ebenen – von der individuellen und lokalen über die nationale bis zur globalen Ebene– unverzichtbare Aufgaben. Die Bewältigung der Aufgaben sollte nach dem Subsidiaritätsprinzip erfolgen. Dies ist wesentlich für die effiziente Umsetzung eines Global Marshall Plans. Dies erfordert einiges an Veränderung, da die politischen Entscheidungsstrukturen heute noch keineswegs den neuen Anforderungen einer zusammenwachsenden Weltgemeinschaft gerecht werden.

Durch Prozesse wie besserer Informationszugang, bessere Bildung und erleichterte Kommunikation

•  muss die Stärkung der eigenverantwortlichen und unternehmerischen Fähigkeiten jedes Einzelnen wichtiges Anliegen zukünftiger Fördermaßnahmen werden,

•  wird die Einbeziehung der lokalen wie globalen Zivilgesellschaft in die Gestaltungsprozesse immer wichtiger,

•  steigen die demokratischen Anforderungen auf allen Ebenen

•  und wird es insbesondere unumgänglich, dass alle Menschen aller Nationen das Gefühl erlangen können, an der Gestaltung der globalen Rahmenbedingungen in gleichberechtigter Weise beteiligt zu sein.

Für den Einsatz der Mittel halten wir vor dem Hintergrund dieser Überlegungen folgende Prinzipien und Vorschläge für angemessen:

•  Die konkreten Förderprogramme sollten über die entsprechenden Sonderorganisationen und Programme der Vereinten Nationen koordiniert werden.

•  Am Beispiel des bereits eingerichteten und mit gut zwei Milliarden Dollar ausgestatteten „The Global Fund to fight AIDS, Tuberlucosis and Malaria“ soll beobachtet werden, ob die Etablierung solch eigener UN-naher Fonds in Wechselwirkung mit Akteuren der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft für die Kernziele des Global Marshall Plans hilfreich sind.

•  Sofern Mittel aus einer Welthandelsabgabe gewonnen werden, wäre zu erwägen, diese zunächst jeweils für Entwicklungsziele in jenen Wirtschaftssektoren einzusetzen, in denen die Einnahmen anfallen, z.B. im Telekommunikations- oder Energiesektor. Dies könnte die Zustimmungsfähigkeit seitens der Wirtschaft deutlich erhöhen, da Mittelaufbringung und Mitteleinsatz in transparenter Weise aufeinander bezogen wären. Allerdings wäre hier wie in anderen Bereichen auf den Einsatz angepasster Technologien zu achten.

•  Ein wesentliches Instrument des Mitteleinsatzes sollte die öffentliche Ausschreibung von vorgesehenen Programmen bei Nichtregierungsorganisationen sein, so dass sich auf diese Weise in gesunder Konkurrenz die beste Kosten-Ergebnis-Relation ergibt. Dies könnte gemäß einem Vorschlag von George Soros über ein neutrales Gremium erfolgen, das beim IWF installiert ist , aber materiell unabhängig bleibt.

•  Eindeutigen Vorrang vor Projekten, die von Experten und Firmen der Geber-Länder durchgeführt werden, sollten solche Projekt haben, die auf dem unternehmerische Potential der Menschen vor Ort basieren - zum Beispiel Kleinkreditbanken (Grameen Bank) und Entwicklungsschulen (Fundaec in Kolumbien), an denen Einheimische zu Entwicklungshelfern ausgebildet werden.

•  Die Suche nach besonders erfolgreichen und effektiven sozialen und ökologischen Projekten und deren Erfolgskriterien sollte als neuer internationaler Forschungsschwerpunkt definiert und gefördert werden. Mit der Identifikation und Förderung von Best-Practice-Projekten kann die Effizienz vieler heutiger Formen der Entwicklungsunterstützung massiv gesteigert werden .

Nächste Schritte

Die Initiatoren für einen Global Marshall Plan wenden sich mit ihren Überlegungen und Vorschlägen bewusst parallel an unterschiedliche Adressaten:

1. An die Europäische Union und die nationalen Parlamente innerhalb der EU sowie die EU-Kommission mit dem Vorschlag, nach den Wahlen zum EU-Parlament im Sommer 2004 ein EU-Beratungsgremium einzuberufen. Dieses Gremium soll unter Einbeziehung der Wirtschaft und Zivilgesellschaft eine konkrete EU-Initiative für einen Global Marshall Plan ausarbeiten. Die EU sollte ein entsprechendes Konzept zukünftig als gemeinsame EU-Position bei allen künftigen Welt-Gipfeln einbringen. Das ist aktuell das praktische Zwischenziele dieser Initiative.

2. An die UNO (United Nations Organization) , von der letztendlich der Global Marshall Plan getragen werden muss und deren Organe (z.B. UNDP, UNEP, UNESCO, UNICEF ) für die Umsetzung eines Global Marshall Plans eine zentrale Rolle spielen.

3. An unterschiedliche internationale Organisationen – aus dem Bereich der UN-Sonderorganisationen wie auch aus dem Bereich internationaler Wirtschafts- und sonstiger Verbände – mit der Bitte, in diesem Sinne aktiv zu werden und auf diesem Wege die Erreichung der UN Millennium Development Goals doch noch zu ermöglichen.

4. An die international agierende Wirtschaft , einen solchen Global Marshall Plan als Hebel für ein umfassendes Weltwirtschaftswunder zu ihrem Anliegen zu machen. Ohne die Unterstützung der Wirtschaft ist eine umfassende Umsetzung des Global Marshall Plans nicht denkbar.

5. An die in NGOs organisierte globale Zivilgesellschaft, die Initiative für einen Global Marshall Plan zu einem ihrer Kernanliegen für die nächsten Jahre zu machen.

Bis zum Jahre 2007 sollte bei einem geeigneten Anlass auf einem Weltgipfel die Verabschiedung eines ökosozialen Global Marshall Plans im Sinne eines Planetary Contracts erfolgen. Bis dahin müssen in einem entsprechenden europäischen und internationalen Beratungsgremium alle erforderlichen Vorbereitungen bis zur Entscheidungsreife geleistet sein.

Die erste Implementierungsphase für die Erreichung der oben beschriebenen Kernziele entsprechend den Millennium Development Goals sollte vom 1.1.2008 bis einschließlich dem Jahre 2015 vorgesehen sein. Die Millennium Goals sind ohne einen solchen Plan praktisch nicht mehr erreichbar. Der jüngste Welternährungsbericht zeigt deutlich, dass sich die Trends bzgl. entscheidender Anliegen der Millennium Development Goals sogar verschlechtern, anstatt sich zu verbessern. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Eine weitere Verschärfung dieser Problematik wird ein verspätetes Gegensteuern um ein Vielfaches schwieriger, wenn nicht gar unmöglich machen .

Die Rolle der Initiatoren

Gegenwärtig wird die Initiative für einen Global Marshall Plan von einer Gruppe von NGO's und Verbänden sowie von namhaften Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens getragen. In den nächsten Monaten soll diese Basis deutlich erweitert und insbesondere internationalisiert werden, sowohl in Europa, als dann auch weltweit.

Die Initiatoren werden die oben genannten strategischen Ziele für die Realisierung eines Global Marshall Plans voranbringen und nach der hoffentlich bald erfolgten Etablierung eines europäischen und internationalen Beratungsgremiums diesen Prozess weiterhin beobachten und mit eigenen Vorschlägen inhaltlich und strategisch begleiten.

Sie werden ferner daran arbeiten, dass ein breites öffentliches Bewusstsein für global verantwortliches Handels fortentwickelt wird . Nur ein gesteigertes Bewusstsein und verbessertes Verständnis kann eine verlässliche Grundlage darstellen, um diese Initiative für eine humane Gestaltung der Globalisierung zum Erfolg zu führen.

Abschließend sei noch einmal die Überzeugung der Initiatoren wiederholt: Ein vernünftig entwickelter Global Marshall Plan entspricht sowohl kurzfristig wie auch langfristig gesehen dem besten Interesse der sich entwickelnden wie der reichen Länder, der engagierten globalen Zivilgesellschaft wie auch der Wirtschaft und der nationalen und internationalen Politik. Er kann sich – in Verbindung mit der Umsetzung großer ökologischer und sozialer Zielsetzungen im Sinne eines Planetary Contract– als das effektivste Wirtschaftsförderprogramm und Friedensprogramm für die kommenden Jahrzehnte erweisen.

Die Autoren dieses Textes in alphabetischer Reihenfolge sind:

UWE MÖLLER , Generalsekretär des CLUB OF ROME

FRANZ JOSEF RADERMACHER , Direktor des FAW Ulm, Kurator der STIFTUNG WELTVERTRAG

JOSEF RIEGLER , Präsident des ÖKOSOZIALEN FORUMS EUROPA

SURJO RAPHAEL SOEKADAR , Projektleiter der GLOBAL MARSHALL PLAN INITIATIVE

PETER SPIEGEL , Generalsekretär des CLUB OF BUDAPEST

Weitere Informationen zur Global Marshall Plan Initiative sind unter www.globalmarshallplan.org abrufbar.

Home


eintragen