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  Radermacher Vortrag in Aachen

Mit- und Gegeneinander der Kulturen in der globalen Informationsgesellschaft - Ein „Balanced Way“ als Zukunftsentwurf

Franz J. Radermacher

Die Welt sieht sich spätestens seit der Weltkonferenz von Rio vor zehn Jahren vor der Herausforderung, eine nachhaltige Entwicklung bewusst zu gestalten. Das ist ein komplexes Thema, und die Dramatik der Konstellation hat nach dem 11.9.2001 und jetzt nach dem weitgehenden Scheitern der Welt­konferenz Rio+10 in Johannesburg weiter zugenommen. Eine faire Wechselwirkung zwischen den Kul­turen dieser Welt wird dabei zu einer Schlüsselfrage, ebenso wie die Überwindung der Armut bei gleichzeitiger Beachtung vom Umweltschutzanliegen und einem vorsichtigen Umgang mit knappen Ressourcen. Technische und gesellschaftliche Innovationen sind dabei unverzichtbarer Teil jeder Lösung.

Die Herausforderung eines adäquaten weltweiten Ordnungsrahmens

Nachhaltigkeit ist die große weltpolitische Herausforderung beim Übergang in ein neues Jahrtausend. Es ist dabei ein interessanter Konsens, dass Nachhaltigkeit zwei Dimensionen zusammen bringen muss: einerseits den Schutz der Umwelt, vor allem in einer globalen Perspektive, dann aber auch die Entwicklung der ärmeren Länder, insbesondere mit dem Ziel der Überwindung der Armut und der Herbeiführung weiterer Gerechtigkeitsanliegen.

Die Kernfrage, vor der die Welt seit dem Fall der Mauer steht, ist dabei, ob man dieses Ziel am besten dadurch erreicht, dass man Märkte immer weiter dereguliert und dann ganz auf die Kraft dieser Märkte setzt, oder ob dieses Thema auch einen geeigneten gesellschaftlich-politischen Rahmen der Weltwirtschaft erfordert, so wie er typisch ist z. B. für die europäischen Marktwirtschaften, nämlich einen ökosozialen ökonomischen Rahmen im Sinne eines ordoliberalen Modells, das Modell des sogenannten Rheinischen Kapitalismus. Jedenfalls erscheint es als offensichtlich, dass heute die Entwicklungs­erfolge, die in Glo­balisierungsprozessen stattfinden, zu teuer erkauft werden, nämlich zum einen mit einer massiven Zerstörung der Umwelt weltweit und zum anderen mit einer zunehmenden sozialen Spaltung sowohl im Norden wie im Süden dieses Globus. Das ist nicht friedensfähig. Das ist keine zukunftsfähige Entwicklung. Hier steht die Welt vor einer schwierigen Situation, und diese materialisiert sich beispielsweise in einem Ereignis wie dem 11.09.2001 und auch in der Frage, wie man damit umgehen soll.

Plünderung statt Zukunftsorientierung

Studiert man die Herausforderung einer nachhaltigen Entwicklung, dann ist man insbesondere mit dem Problem konfrontiert, dass heute in einer globalisierten Ökonomie mit inadäquaten weltweiten Ordnungsbedingungen das "Nachhaltigkeits"-Kapital, also die sozialen, kulturellen und ökologischen Bestände, von denen unsere Zukunft abhängt, massiv angegriffen werden. Wir organisieren heute einen internationalen Transport um den Globus fast zum Nulltarif mit enormen negativen Konsequenzen für das Weltklima , und wir haben in Form der Green Card Plünderungsmechanismen des Sozialkapitals ärmerer Länder durch reichere Länder etabliert. In der Summe führt das zu Instabilitäten, die die zukünftigen Lebenschancen bedrohen.

Große Teile der Menschheit, im Moment etwa zwei Milliarden Menschen, sind extrem arm , müssen mit weniger als zwei EURO pro Tag auskommen, und wir merken, dass wir trotz der enormen wissenschaftlich-ökonomisch-organisatorischen Potenz der Menschheit offenbar nicht in der Lage sind, so elementare Anforderungen wie eine adäquate Wasserversorgung aller Menschen sicher zu stellen. Ein tieferer Grund scheint u. a. die Freihandelslogik der WTO in Verbindung mit den Wirkungsmechanismen der Weltfinanzsysteme zu sein. Dies ist ein Ordnungsrahmen, der soziale, kulturelle und ökologische Fragen eher nachrangig thematisiert bzw. zurück verweist auf die Ebene der Nationalstaaten. In der heutigen Globalisierung kämpfen dann aber die Nationalstaaten gegeneinander, z. B. um investives Kapital und befinden sich damit in einem gewissen Sinne in einer Gefangenen-Dilemma-Situation , die alle eher zwingt, Standards abzubauen als Standards international abgestimmt durchzusetzen.

Insbesondere ergibt sich dadurch ein vergleichsweise unkoordinierter, teilweise chaotischer Wachstumsprozess mit erheblichen sozialen Verwerfungen, der u.a. dadurch gekennzeichnet ist, dass er einen enormen Druck auf ökonomisch schwächere Kulturen ausübt . Diese Kulturen werden über das dauernde Angebot neuer Möglichkeiten, vor allem in Form von Werbung über die Medien, und angesichts der aus ihrer ökonomischen Schwäche resultierenden Fähigkeit, diese Angebote für die eigene Bevölkerung in Breite nutzbar zu machen, unter einen erheblichen Druck gesetzt, der in der konkreten Umsetzung dann mit sehr vielen materiellen Durchgriffen des reichen Nordens zu Lasten dieser Kulturen verbunden ist. Dies ist ein Zustand, aus dem eine hohe Frustration und letztlich ein enormer Hass resultieren, ein nachvollziehbarer Hass, der für das Miteinander auf diesem Globus eine enorme Belastung darstellt.

Die Religionen sind dabei, wie unten noch genauer beschrieben wird, in der Regel nicht, wie manchmal unterstellt wird, der eigentliche Treiber von Konflikten im Sinne eines „ Kampfes der Kulturen “. Eher ist es so, dass tiefliegende Gerechtigkeitsfragen, die nirgendwo adressiert werden, dann gelegentlich in Religionen ihre kulturelle Separierungslinie finden, über die die eine Seite von der anderen Seite abgegrenzt werden kann, eine Funktion, die manchmal auch die Hautfarbe und manchmal die Sprache übernehmen. Nordirland zeigt uns, dass solche Konflikte im Kern offenbar nicht religiöser Art sind. Katholiken und Protestanten leben in Deutschland sehr harmonisch zusammen. In Nordirland offenbar nicht. Warum? Weil tieferliegende historische Gerechtigkeitsfragen das eigentliche Thema sind. Gerechtigkeitsfragen betreffen auf diesem Globus vor allem auch den sozialen Bereich und die Umweltsituation, die durch die Wirkungsmechanismen des globalen ökonomischen Systems massiv belastet wird. Die großen Themen der Zukunft sind hier: Wasser, Böden, Meere, Wälder, Klima und der Erhalt der genetischen Vielfalt.

Die Ökosoziale Marktwirtschaft und das Beispiel Europa

Die Frage ist: Muss der Globalisierungsprozess so zerstörerisch ablaufen, wie das heute der Fall ist? Oder gäbe es einen besseren Weg? Ja, es gibt ihn! Es gibt eine Alternative. Diese ist das europäische Marktmodell , die Ökosoziale Marktwirtschaft , der „Balanced Way“ . Es ist dies die Logik, nach der insbesondere auch die Erweiterungsprozesse der Europäischen Union als eine kleine Form der Globalisierung gestaltet werden. Hier steht jetzt der nächste große Schritt der Erweiterung der EU nach Mittel- und Südosteuropa an. Das entscheidende Prinzip, auf das die EU setzt, ist ein fairer Vertrag zwischen den entwickelten und weniger entwickelten Ländern, in dessen Rahmen die weniger entwickelten Länder die hohen Standards der EU (den sogenannten aquis communitaire ) übernehmen und damit auch einen Teil ihrer Wettbewerbsvorteile aufgeben oder anders ausgedrückt: uns vor dem bewahren, was wir gerne Dumping nennen, was aber aus Sicht dieser Länder ihr komparativer Vorteil ist. Ein solches abgestimmtes Vorgehen ist aber nur deshalb möglich, weil der reichere Teil der EU bereit ist, in Form einer Co-Finanzierung die Entwicklung dieser ökonomisch schwächeren Länder zu fördern. Das entspricht etwa der Idee eines Marshall-Plans , wie ihn die USA nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa ebenfalls betrieben hat. Man muss vergleichsweise geringe Mittel einsetzen, größenordnungsmäßig 1 bis 2 % des Bruttosozialprodukts, dann scheint es möglich zu sein, Aufholprozesse ganz wesentlich zu beschleunigen und insbesondere sozial und fair auszugestalten. An dieser Stelle ist insbesondere auf den deutlichen Unterschied zwischen der EU und der nordamerikanischen NAFTA hinzuweisen. Dort muss die Grenze zwischen den Mitgliedsstaaten mit Militär bewacht werden. Innerhalb der EU können die Grenzen irgendwann ganz abgeschafft werden.

Ein Welt-Marshall-Plan als politische Strategie

Es wäre heute nötig, diese Idee der Ökosozialen Marktwirtschaft auf den ganzen Globus zu erweitern. Das würde bedeuten, dass internationale Abkommen die Angleichung von Standards, z. B. bzgl. Ausbildung, Rechte der Frauen, Wasserversorgung, Umweltschutz etc. koppeln mit der Co-Finanzierung der Entwicklung der ärmeren Länder durch die reichen Länder. Entsprechende Vorschläge eines Welt-Marshall-Plans liegen auf dem Tisch, vor allem von europäischer Seite. Zentral ist dabei die Co-Finanzierungsfrage. Hier wäre etwa an eine faire Besteuerung von internationaler Mobilität, eine Welt-Kerosin-Steuer, möglicherweise eine Tobin Tax auf Finanztransaktionen etc. zu denken, um die entsprechenden Mittel aufzubringen.

Aber das Problem ist heute, dass in allen weltweiten Prozessen dieses Typs die USA blockieren. Sie sind nicht bereit, sich an Co-Finanzierung substantiell zu beteiligen. Das reichste Land der Welt kommt gerade mal auf absolut unzureichende 0,12% Entwicklungshilfe. Allein die Erhöhung des US-Militäretats nach dem 11.09.2001 hat den 4-fachen Umfang, der Militäretat umfasst in 2003 das 32-fache Volumen der Entwicklungshilfe der USA, also etwa 3,8 % des Bruttosozialprodukts. Aber die aktuelle US-Administration argumentiert, dass mehr Entwicklungshilfe oder Co-Finanzierung eben auch der falsche Weg wäre. Die Verantwortlichen sind überzeugt davon bzw. versuchen durchzusetzen, dass deregulierte freie Märkte das beste Entwicklungsprogramm darstellen, obwohl ganz offensichtlich ist, dass die Armut auf diesem Globus so nicht zügig überwunden und die Umwelt so nicht ausreichend geschützt werden kann. Gerade auch die enormen Probleme der New Economy und der Weltkapitalmärkte in jüngster Zeit haben gezeigt, dass eine immer weitergehende Deregulierung nicht einmal zur Organisation klassischer ökonomischer Prozesse das geeignete Instrument ist, vom Erreichen einer nachhaltigen Entwicklung völlig abgesehen.

Die Rolle des technischen Fortschritts: Faktor-4- und Faktor-10-Konzepte

Viel geeigneter ist ein ökosozialer Rahmen, der die Möglichkeiten des technischen Fortschritts geeignet koppelt mit der Beachtung von Standards im Umweltbereich und im sozialen Bereich. Von der technischen Seite her ist dabei der entscheidende Ansatzpunkt der sogenannte Faktor-4 bzw. Faktor-10-Ansatz , der auf Wissenschaftler wie von Weizsäcker und Schmidt-Bleek vom Wuppertal Institut zurück geht und letztlich darauf abzielt, dass man versucht, über die nächsten fünfzig bis hundert Jahre das Weltbruttosozialprodukt zu vervielfachen, z. B. zu verzehnfachen, aber nur bei einer simultanen Erhöhung der Ökoeffizienz in einer Weise, dass man diesen vermehrten Umfang an Gütern und Services produzieren kann, ohne die Umwelt mehr zu belasten und ohne kritische Ressourcen in größerem Umfang zu verbrauchen als bisher.

Es geht also darum, mit demselben Volumen an Ressourceneinsatz, mit derselben Umweltbelastung wie heute dank besserer Technik substantiell mehr zu produzieren, mehr Güter und Services verfügbar zu machen. Hier ist das entscheidende Instrument der technische Fortschritt , um für immer mehr Menschen auf diesem Globus menschenwürdige Verhältnisse herbei zu führen.

Die Begrenzung kollektiven Tuns als größte Herausforderung: Bewältigung des Bumerang-Effekts

Es ist allerdings an dieser Stelle wichtig zu beachten, dass eine Erhöhung der Ökoeffizienz und eine Dematerialisierung nicht etwas prinzipiell Neues darstellen, sondern etwas, was der technische Fortschritt schon immer leistet. Ob damit letzten Endes eine nachhaltige Entwicklung erreicht wird, ist eine andere Frage, denn hierzu ist neben Technik noch etwas anderes notwendig: Hier sind gesellschaftliche Innovationen, noch genauer Weltverträge notwendig, die dem kollektiven Tun Grenzen setzen, nämlich dieses innerhalb bestimmter ökologisch-sozialer sowie kulturell akzeptabler Grenzen halten. Dabei ist das Durchsetzen solcher Limitationen und die Implementation solcher Grenzen in dem heutigen weltökonomischen System die eigentliche politische Herausforderung für eine nachhaltige Entwicklung.

Betrachtet man etwa die Klimafrage und die Herausforderung einer weltweiten Begrenzung der CO 2 -Emissionen , dann geht es darum, dass man die kollektiven Emissionsumfänge limitiert, also zu insgesamt weniger Emissionen als heute kommt, das aber in einer Situation, in der China, Indien, Brasilien massiv aufholen und dadurch sukzessive immer mehr Emissionen erzeugen, weil man dort unserem Lebensstil - völlig nachvollziehbar - nacheifert.

Wie soll man in dieser Situation mit der Knappheit umgehen, mit der notwendigen Limitation? Es gibt hier sehr delikate Diskussionen zwischen Nord und Süd um die Frage, ob das Verteilungsschema "großvaterartig" sein soll, also jeder in etwa auf seinem bisherigen Niveau bleibt, was bedeuten würde, dass die Menschen in den bisher reichen Ländern auf Dauer sehr viel mehr CO 2 pro Kopf emittieren dürfen als die Menschen in den ärmeren Länder. Oder ob die Menschen in den ärmeren Länder dasselbe Recht haben wie die Menschen in den reichen Länder, also im Prinzip aufholen dürfen und wir zu einer pro-Kopf-gleichen Ausgangsverteilung der Emissionsrechte kommen sollten. Letzteres würde bedeuten, dass jeder Mensch die gleichen Verschmutzungsrechte bekommt - das wäre heute dann ein sechs Milliardstel des als zulässig erachteten Gesamtumfangs – und dann diese Rechte versteigert werden können. Dies würde bedeuten, dass der, der überproportional verschmutzt bzw. verschmutzen will, wie z. B. heute die US-Amerikaner, aber auch die Europäer, sich bei den ärmeren Ländern dann zunächst einmal die Verschmutzungsrechte kaufen müssten, was solche Emissionen erheblich verteuern und die Wirkung einer globalen Ökosteuer haben würde .

Das heißt, es geht im Kern darum, Folgewirkungen des technischen Fortschritts zu beherrschen. Oder anders ausgedrückt: Zu verhindern, dass wir trotz technischem Fortschritt und trotz immer höherer Effizienz dennoch gleichzeitig immer mehr „Natur“ verbrauchen, immer mehr Ressourcen verbrauchen und immer mehr Umweltbelastungen erzeugen, so wie das historisch bisher immer der Fall war. Man kann rückblickend sagen: „Die Geister, die ich rief, die werde ich nicht mehr los“. Die Technik hat immer Chancen für die Entlastung der Natur eröffnet, aber in der Summe haben immer mehr Menschen auf einem immer höheren Konsumniveau die Natur eher immer mehr belastet. Das nennt man den Bumerang-Effekt , den Rebound-Effekt (vgl. hierzu das Buch „Der göttliche Ingenieur“ von J. Neirynck).

Die Bewältigung dieses Bumerang-Effekts ist das zentrale weltweite Thema zur Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung. Und dieser Bumerang Effekt begegnet uns überall. Die Computer werden immer kleiner, aber die Menge an Elektronikschrott nimmt dauernd zu. Das papierlose Büro ist der Ort des größten Papierverbrauchs in der Geschichte der Menschheit. Trotz Telekommunikation reisen wir immer mehr und nicht weniger. Und während wir reisen, nutzen wir die Möglichkeiten der Telekommunikation und organisieren schon die nächste Reise.

Das heißt, die Technik ist immer nur eine Chance . Aber die Chance in eine Lösung umzusetzen erfordert, dass wir gleichzeitig über Weltverträge die notwendigen Limitationen in das weltökonomische System inkorporieren. Die WTO mit ihrer heutigen Freihandelslogik ist dazu nicht in der Lage. Wir müssen den Ordnungsrahmen der WTO inhaltlich fortentwickeln bzw. wir müssen diesen geeignet verknüpfen mit den internationalen Abkommen zum Schutz der Umwelt, mit den internationalen Abkommen zum Schutz der Arbeitnehmer und z. B. den internationalen Vereinbarungen zum Schutz der Kinder im Umfeld Kinderarbeit .

Und noch einmal: Dieses scheitert heute daran, dass gerade die ärmsten Länder Wert darauf legen, solche Standards gegebenenfalls nicht einhalten zu müssen, obwohl sie diese eigentlich zweckdienlich finden, damit sie nämlich auf dem Weltmarkt eine Chance haben. Und nur wenn die reichen Länder ihnen vernünftige Perspektiven und Co-Finanzierung, z. B. im Sinne der Logik der EU-Erweite­rungs­programme bieten, besteht eine Chance, mit ihnen zusammen die notwendigen Verträge auf dem Konsensweg abschließen zu können.

Die soziale Frage als Schlüsselthema: Überwindung der globalen Apartheid

Das heißt, richtig betrachtet ist die Frage der nachhaltigen Entwicklung heute vor allem eine Frage der Einigungserfordernisse zwischen Nord und Süd bzw. zwischen Reich und Arm . Dabei geht es um Umweltstandards und Umweltschutzvorschriften, die man weltweit durchsetzen müsste, verbunden mit der Co-Finanzierung von Entwicklung, die es dann den ärmeren Ländern erlauben würde, in diesem Prozess dennoch wirtschaftlich aufzuholen. Oder wenn man es anders ausdrückt: Es geht um eine Perspektive für einen weltweiten sozialen Ausgleich unter gleichzeitiger Beachtung von Umweltschutzanliegen . Nach Aussagen von Prof. Töpfer, dem aus Deutschland stammenden UN-Verantwortlichen für die globale Umweltthematik, ist die weltweite soziale Frage heute die zentrale Frage überhaupt für das Erreichen einer nachhaltigen Entwicklung.

Wenn man sich dieser sozialen Frage nähert, dann ist zunächst einmal zu begründen, wie man den Umfang an sozialem Ausgleich in Ländern messen will. Die EU-Logik nimmt hier den Vergleich der niedrigsten Einkommen im Verhältnis zum Durchschnitt zum Maßstab. Nach EU-Logik sollte niemand weniger Einnahmen haben als etwa die Hälfte des Durchschnitts , das entspricht einer Equity von 50 %.

Dies wäre zu kontrastieren mit einem extremen Kommunismus, bei dem die Equity bei 100 % liegt. Wir wissen historisch, dass ein zu hoher sozialer Ausgleich nicht gut funktioniert, er ist zu demotivierend, er fördert keine ökonomische Leistungsfähigkeit. Stattdessen braucht man Differenzierungen, man braucht durchaus die Möglichkeit, dass bestimmte Leistungsträger zwanzig Mal das Durchschnittsgehalt verdienen, wenn auch vielleicht nicht zu viele solcher Personen. Und dazu korrespondiert eben unvermeidbar, dass die meisten Menschen sich einkommensmäßig unterhalb des Durchschnitts befinden. Aber wie viele und wie weit? Schaut man sich die erfolgreichen Staaten auf dieser Welt an, dann haben sie alle eine Euqity, die oberhalb von 45 % liegt. Die Deutschen liegen bei etwa 60 %, die Nordeuropäer und die Japaner bei 62 bzw. 63 %. Das einzige erfolgreiche Land mit einer Equity unterhalb von 50 % sind die USA mit etwa 47 %. Und nicht viel darunter befinden sich Indien und China.

Es ist so, dass alle erfolgreichen Länder dieser Welt in Bezug auf den sozialen Ausgleich einen Equityfaktor zwischen 45 und 65 % haben. Man kann auch inhaltlich begründen, warum unterhalb von

45 % Equity Länder nicht erfolgreich sein können, warum bei zu geringem sozialen Ausgleich ein Land in Bezug auf das Bruttosozialprodukt pro Kopf arm sein muss. Der tiefere Grund ist, dass in solchen Ländern nicht genügend in die Ausbildung und Gesundheit aller Bürger investiert werden kann . Man bekommt dann koloniale oder Apartheid- Strukturen mit sehr viel Dienstpersonal auf niedrigstem Ausbildungsniveau und sehr niedrigem Einkommensniveau - und das muss ein Land in einer Pro-Kopf-Perspektive arm machen. Die ungünstigsten Equityfaktoren unter den größeren Staaten auf diesem Globus findet man heute in früheren Kolonial- und Apartheidsregimen , wie z. B. Brasilien und Südafrika, mit Equityfaktoren von nur etwa 27 %. Aber das größte Problem auf dieser Erde ist heute der Ungleichszustand des ganzen Globus, wenn man diesen als eine ökonomische Einheit sieht, was in Zeiten der Globalisierung zunehmend die richtige Betrachtungsweise ist. Der gesamte Globus befindet sich auf einem Equityniveau von unter 12,5 %. Das ist globale Apartheid . Das ist ein absolut unerträglicher Zustand. Er signalisiert, dass die Ungleichheiten heute auf diesem Globus primär zwischen Ländern und nicht innerhalb der Länder liegen. Das ist ein Zustand, der absolut nicht friedensfähig ist, der auch mit Hass und Gegnerschaft verbunden ist. Die Ereignisse am 11.09.2001 sind sehr gut in diesem Kontext interpretierbar. Das entspricht dem Muster bei allen vorherigen Revolutionen der Weltgeschichte. ....... ( Abbildung weggelassen, da zu viel Speicherplatz).

Damit soll nicht gesagt werden, dass die Ärmsten selber Revolutionen anzetteln oder effektiven Widerstand leisten. Dafür sind diese viel zu schwach. Aber Armut und Ungerechtigkeit führen zu Konstellationen, in denen andere Personen im Zentrum des Systems sich berechtigt sehen, als - selbsternannte - Vertreter der Armen bzw. ihrer Interessen entsprechend zu agieren. Jeden Tag verhungern auf diesem Globus 24.000 Menschen. Seit dem 11.09.2001 sind jeden Tag 24.000 Personen verhungert . Der Süden sieht, dass wir an dieser Stelle nichts tun, obwohl wir etwas tun könnten. Wir müssen uns nicht wundern über die Situation, wie sie ist. Und hier liegt für eine nachhaltige Entwicklung sicher die größte Herausforderung. Die immer weitergehende Deregulierung der Märkte bringt alleine nicht die Antwort. Was wir brauchen, ist den Übergang zu einer Weltinnenpolitik , orientiert an der Art, wie wir in der EU Erweiterungsprozesse organisieren. Dabei würden wir alle miteinander insbesondere daran arbeiten, dass weltweit leistungsfähige Infrastrukturen aufgebaut werden, dass die Rolle der Frau gestärkt wird, dass Ausbildungssysteme, Rentensysteme usw. etabliert werden, so dass wir dann insgesamt auch in einen Zustand kommen, bei dem die Bevölkerung weltweit nicht mehr wächst , die Zahl der Menschen irgendwann sogar wieder abschmilzt von absehbar neun bis zehn Milliarden Menschen im Jahr 2050, statt immer nur weiter zu wachsen wie bisher.

Frieden zwischen den Kulturen: Eckpfeiler jeder nachhaltigen Entwicklung

Die Frage der Wechselwirkung der Kulturen miteinander und der kulturelle Kontext als solcher ist wesentlicher Teil der angesprochenen (welt-)sozialen Thematik , denn das Soziale entfaltet sich im Rahmen der Kultur und die Kultur reflektiert die Tradition. Diese ist z. B. dadurch (mit-)bestimmt, dass und wie Großmütter und Großväter bestimmte Ansichten über die Welt und das Leben an ihre Enkelkinder weitergeben. Kulturelle Prägungen sind deshalb sehr tiefgehend und nicht rasch zu ändern und beinhalten zudem ein erhebliches seelisches Verletzungspotential , weil tiefste Gefühle der Zugehörigkeit und Tradition und Erwartungen aus Kindheit und Jugend unmittelbar berührt werden.

Wesentliche kulturelle Themen betreffen u. a. den Umgang der Generationen miteinander , ebenso das Verhältnis von Mann und Frau und den öffentlichen Umgang mit dem Thema der Sexualität . Diese Lebensbereiche haben höchste humane Signifikanz und sind teilweise in vielen Kulturen tabuisiert. Das kulturelle Gedächtnis reicht leicht über 50 bis 200 und mehr Jahre. Gesellschaftliche Veränderungen kultureller Muster gelingen in diesen Bereichen auf friedlichem Wege allenfalls über große Zeiträume. Die Globalisierung erlaubt wegen der engen ökonomischen Verknüpfung aller Länder und der weltweiten Verfügbarkeit von Informationen solche Anpassungszeiträume nicht mehr. Das Neue bricht wie eine Flutwelle nach einem Dammbruch über Menschen herein , die darauf nicht vorbereitet sind. Dabei wird erst gar nicht mehr die Frage gestellt, ob etwas an der westlichen Kultur falsch sein könnte. Und das, obwohl auf diesem Globus die Frage, wer recht hat, längst nicht zweifelsfrei und abschließend entschieden ist. Sind auf Dauer diejenigen konservativen (rückständigen?) Kulturen, die vieles verbieten, die nachhaltigsten, oder ist es der Westen mit seiner fast grenzenlosen Freiheit, eine Welt, in der (fast) alles erlaubt ist? Was sind die Resultate dieser Grenzenlosigkeit im Westen für den sozialen Zusammenhalt oder für Nachhaltigkeit?

In jedem Fall sollten, wenn Friedensfähigkeit das Ziel ist, Globalisierungsprozesse so ausgestaltet werden, dass sie den Frieden und den Ausgleich der Kulturen untereinander fördern, nicht die Konflikte verschärfen. Im Vordergrund steht insofern die Frage des kulturellen Ausgleichs , des würdevollen Umgangs miteinander , und zwar unabhängig von der Frage, wer ökonomisch, technisch oder militärisch im Moment stärker oder schwächer ist. Insbesondere darf Geld und Macht nicht immer wieder allein entscheiden, wer als Person oder Organisation oder welche Kultur sich im Konfliktfall durchsetzt und sei es nur in dem Sinne, dass die Kinder der "Verlierer" mit Informationen bzw. Angeboten eines Typs überschwemmt werden, die in dem jeweiligen anderen kulturellen Kontext nicht zulässig sind. Dabei geht es auch um subtile Verführungen bzw. auch um ökonomische Zwänge , die in ihren Wirkungen mit den Lebensmustern der jeweils unterlegenen Kultur nicht verträglich sind.

Um es noch deutlicher auszudrücken: Das, was mit der Ausrottung der Indianer und ihrer Kultur in Amerika oder der Versklavung und kulturellen Vergewaltigung substantieller Teile der afrikanischen Bevölkerung während der Zeit der Kolonialisierung aufgrund ökonomisch, technischer und waffenmäßiger Überlegenheit der westlichen Kultur stattgefunden hat, sollte so nie wieder stattfinden und auch nicht in subtil verborgener Weise unter dem Deckmantel freier, formal auf Chancengleichheit hin ausgerichteter ökonomischer Prozesse bei absolut asymmetrischer Ausgangssituation , die inhärent nie fair sein können, weil wirkliche Chancengleichheit a priori nicht besteht.

Das heißt andererseits auch, dass ein vernünftiger weltweiter sozialer Ausgleich, also eine (Welt-)Equity à la EU-Armutsdefinition eine ganz wichtige Voraussetzung dafür wäre, dass wir zwischen den Kulturen zu besser balancierten Verhältnissen kommen würden, als das heute der Fall ist. Alle Investitionen in einen höheren weltsozialen Ausgleich sind insofern auch Investitionen in einen höheren kulturellen Ausgleich . Und zwar einfach deshalb, weil sich in der Folge dieses höheren Ausgleichs andere Kulturen ökonomisch besser als bisher gegen das heute dominierende westliche Modell behaupten könnten. Diese Beobachtung fällt in den Bereich einer weiteren sozialen Ausgleichsforderung (über eine hohe Equity insgesamt hinaus), dass nämlich klar separierbare Gruppen von Menschen nach Kategorien wie Hautfarbe, Religion, Geschlecht etc. alle in einer ausgeglichenen Weise mit materiellen Gütern ausgestattet sein sollten. Es ist wenig friedensfähig, wenn sich die Armen dieser Welt offensichtlich unter einzelnen dieser Kategorien häufen also die Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen zu einem Armutsrisiko wird.

Das bedeutet in der Konsequenz dann auch, rein individualistisch ausgerichtete Menschenrechtspositionen , wie sie insbesondere im angelsächsischen Raum vertreten werden, für eine Balance der Kulturen nicht adäquat sind. Menschenrechte sollten vielmehr mit Menschenpflichten verknüpft gesehen werden , wie das auch in einem sehr schönen Buch, das Helmut Schmidt herausgegeben hat, dargestellt wird. So würde man auch eine Brücke von den westlichen Denkansätzen hin nach Asien und den sehr viel stärker auf den Zusammenhalt von Gruppen ausgerichteten dortigen Philosophien schlagen. Die heutige Überbetonung von Individualrechten und deren Einforderung in ärmsten Ländern, die sich um Entwicklung bemühen, kann durchaus auch als ökodiktatorische Aggression gewertet werden, nämlich als ein sehr subtiler Mechanismus, mit dessen Hilfe reichere Länder ärmere Länder an einer zügigen Entwicklung hindern, indem sie diesen "Unmögliches" abverlangen, nämlich Verhältnisse, die wir auch bei uns nicht realisieren bzw. nicht bezahlen konnten, als wir uns auf einem ähnlich niedrigen Entwicklungsstand befanden wie diese Länder heute.

Weltethos und fairer Weltvertrag

Letztlich geht es, wie oben dargestellt, um einen fairen Weltvertrag , den wir miteinander schließen müssen, wenn Nachhaltigkeit und Friedensfähigkeit erreicht werden sollen. Ein solcher Vertrag muss fair zu beiden Seiten sein. Er muss zustimmungsfähig sein . Ist das das Ziel, dann spielen Gespräche zwischen den Kulturen eine große Rolle. Hier sind die Beiträge des Weltparlaments der Religionen , aber auch die Anstrengungen zur Herausarbeitung eines Weltethos (Prof. Küng) als beispielgebend zu nennen. In solchen Diskussionsprozessen werden die gemeinsamen universellen ethischen Prinzipien herausgearbeitet, auf die sich alle große Kulturen und Religionen dieser Welt verständigen können. Wenn man dieses Ziel ehrlich verfolgt, dann erweisen sich die Intaktheit der Natur und die Unversehrtheit des einzelnen Menschen , seine Würde und die Gleichheit der Menschen untereinander als große Themen und dann muss insbesondere verhindert werden, dass de facto Double-Standards etabliert werden , so wie das heute oft passiert, wenn der Westen z. B. einerseits den Irak angreifen will, weil dort UN-Sicherheitsratsbeschlüsse boykottiert werden, Israel genau dieses aber permanent vorexerziert und das offenbar nicht einmal mehr eine Erwähnung wert ist, vor allem auf Seiten der USA, die sich nichtsdestotrotz immer als Garant für Fairness und Gerechtigkeit zu präsentieren versuchen.

Ein weltethischer Entwurf ist kein einfaches Thema . Sicher wird man mit extremen Positionen konfrontiert werden, die wohl unter keinen Umständen - auch nicht temporär - duldbar sind, beispielsweise Beschneidungen von Frauen oder Steinigung von Verurteilten im Rahmen der Scharia in einigen islamischen Ländern. Allerdings sollte der Westen auch hier auf sich selber schauen. Das Justizsystem der USA setzt nicht nur nach wie vor die Todesstrafe ein, sondern sogar die Todesstrafe für Kinder . Die USA sind neben Somalia das einzige Land auf der Welt, das die Weltkinderkonvention nicht unterschrieben hat. Wir finden in den USA zudem auch heute noch einen religiösen Fundamentalismus, der nicht nur alle bevölkerungspolitischen Maßnahmen der UN aktiv bekämpft , sondern auch in einigen US-Bundesstaaten den "Kreationismus" als offizielle Alternative zur biologischen Evo­lution im Schulunterricht durchgesetzt hat. Dies gilt in derselben Weise für eine religiös begründete Landnahme Israels an palästinensischem Land , die sich immer wieder auf vermeintliche jahrtausendalte Rechte beruft und dabei dem Völkerrecht diametral zuwider läuft .

Eine Diskussion über ethische Standards, die versucht, zustimmungsfähig auf diesem Globus zu sein, muss also neben dem einen Fundamentalismus auch die anderen benennen und auch dort zu Änderungen kommen. Zumindest dann, wenn es das Ziel ist, dass eine solche Ordnung im Herzen aller Menschen , auch im Herzen der Bevölkerung der großen arabischen Staaten, angenommen werden kann.

Jedenfalls zeigt das gute Zusammenleben von Katholiken und Protestanten z. B. in Deutschland, dass ein Konflikt wie derjenige in Nordirland vernünftigerweise nicht als im wesentlichen religiös begründet und als in seinem Kern nicht überwindbar verstanden werden sollte. Es handelt sich nicht primär um einen Konflikt zwischen Kulturen (im Sinne eines Kampf der Kulturen) oder um einen Konflikt zwischen zwei Formen des Christentums. Es geht eher darum, bestimmte ungerechte Konstellationen zu überwinden , die sich rein lebenspraktisch manchmal über Religionen, manchmal über Sprache, manchmal über Hautfarbe voneinander differenzieren, wie das oben bereits beschrieben wurde. Und auch der Islam ist nicht per se eine Religion, die Modernisierungs- und Säkularisierungsprozesse von vorne herein ausschließen würde. So gibt es mit der "Anhörungsdimension" im Islam eine Brücke hin zur Demokratie, die ausgebaut werden kann. Die Toleranz islamischer Staaten gegenüber anderen Religionen im Mittelalter war vorbildlich. Die Förderung von Frauen im Bereich der Wissenschaft ist in manchen islamischen Ländern sehr viel früher erfolgt als im Westen. Das heißt, dass es offensichtlich eine Chance der Weiterentwicklung des Islam und der islamischen Staaten hin zu einem vernünftigen globalen Kontrakt gibt. Hieran, wie an einem Weltethos, ist zu arbeiten. Das ist mühseliger als rasches militärisches Zuschlagen . Und es erfordert sicher mehr Intelligenz, nämlich Empathie , also die Fähigkeit, von der eigenen Position zu abstrahieren und zu versuchen, den anderen zu verstehen und auch von ihm zu lernen: Nicht überheblich und alles besser wissend, sondern eher bescheiden .

Was jetzt Not tut; die 10~>4:34 Formel für einen Balanced Way

Entscheidend für die Bewältigung der beschriebenen Probleme und Herausforderungen ist, was nun auf Weltordnungsebene passiert. Entscheidend ist, was wir tun, um z. B. die WTO geeignet mit anderen Regimen, mit anderen globalen Ordnungssystemen zu verknüpfen. Und das ist dann die Frage eines ökosozialen Konsenses , der anzustreben wäre. Wenn man das Ganze richtig angeht, dann haben wir durchaus für die Welt eine vernünftige Perspektive, eine ökosoziale Perspektive. Es wäre denkbar, einen Faktor 10 an Wachstum über die nächsten 50 bis 100 Jahre in eine Vervierfachung des Reichtums im Norden dieses Globus und eine dazu korrespondierende mögliche Vervierunddreißigfachung des Wohlstands im Süden dieses Globus zu überführen.

Der Norden würde sich dabei von heute 80 % des "Kuchens" in Richtung auf 32 % des verzehnfachten Volumens der Weltökonomie bewegen. Der Süden könnte sich als Folge dieser Entwicklung von heute nur 20 % des "Kuchens" hin zu 68 % des dann zehnmal größeren Weltbruttosozialprodukts bewegen. Das wäre eine Vervierunddreißigfachung des dortigen Bruttosozialproduktes. In Wachstumsraten entspricht das im Norden in etwa einer mittleren Wachstumsrate von 2,8 %, im Süden einer mittleren Wachstumsrate von etwa 8 % über 50 Jahre. Dies ist besser als die heutige Rate in Indien, schlechter als die Rate in China und insgesamt nicht unrealistisch. Länder, die aufholen, müssen primär nur kopieren, können deshalb hohe Wachstumsraten erzielen. Länder an der Spitze, reiche Länder, müssen Innovationen erfinden . Das bedeutet ein vergleichsweise langsames Wachstum. Aber wenn wir beides vernünftig miteinander kombinieren, könnten wir uns im Jahr 2050 in einer Situation befinden, in der die Menschen im Norden pro Kopf durchschnittlich nicht mehr sechzehn mal so reich sind wie die Menschen im Süden, so, wie das heute als Ausdruck einer „Globalen Apartheid“ der Fall ist, sondern nur noch etwa doppelt so reich, wobei sie zugleich im Schnitt viermal so reich wären wie heute. Das wäre dann ein Ausgleichsniveau à la Europäische Union und würde durchaus auch eine Perspektive für eine Weltdemokratie eröffnen. Nicht viel anders als jetzt im Prozess der Ausgestaltung der EU die Chance, die der Europäische Konvent für Europa bietet.

Das ökosoziale Modell eröffnet insofern eine spannende Zukunftsperspektive. Es ist dieses ein Ansatz, der Menschenwürde und Schutz der Umwelt gleich ernst nimmt, und von einfachen Lösungsphilosophien Abschied nimmt. In dieser Sicht wird eine immer weitergehende Deregulierung die vor uns liegenden Probleme nicht lösen, hoffentlich aber die Aktivierung der Kräfte der Märkte unter vernünftigen Rahmenbedingungen sozial-kulturell-ökologischer Art . Was wären die Alternativen?

Wege ins Desaster: Plünderung bis zum Zusammenbruch oder ökodiktatorische Sicherheitsregime

In Zukunft drohen zwei Alternativen: Die eine ist, dass wir weiter so wie bisher tun, als könnten wir die ökologischen und sozialen Systeme weltweit weiter überstrapazieren, soviel wir wollen. Wir werden dann irgendwann die Basis unterminieren, von der unsere Zukunft und die Zukunft unserer Kinder abhängt. Wir werden in extreme Knappheiten hinein laufen, z. B. in den Bereichen Wasser, Ernährung und Energie und wir werden Mord und Totschlag erleben bei dem Versuch, sich im Kampf gegeneinander knappe und zu knappe Ressourcen zu sichern in einem Rennen, das langfristig so oder so für niemanden mehr eine Perspektive eröffnet.

Wahrscheinlich wird die Menschheit, vor allem die reiche Welt, aber nicht so dumm sein, dass sie letztlich diesen desaströsen heutigen Weg auf Dauer weiter verfolgen wird, denn sie würde ihre eigene Basis zerstören. Die Wahrscheinlichkeit für diesen Desaster-Weg liegt aus Sicht des Autors bei vielleicht 10-15 %. 85-90 % wäre dann die Wahrscheinlichkeit dafür, dass wir mit dem Problem der physikalischen Grenzen vernünftiger umgehen, als wir das heute tun, dass wir also Lösungen finden, die letzte Knappheiten, also physikalische Notwendigkeiten, irgendwie in das weltökonomische System integrieren.

Es bleiben dann zwei Möglichkeiten. Die eine Möglichkeit ist der ökosoziale Weg , ein fairer Vertrag. Das ist das, was oben ausführlich beschrieben wurde. Aber es gibt eine Alternative, eine zunächst undenkbare, aber beim längeren Nachdenken dann doch naheliegende, verführerische Perspektive, nämlich eine Ökodiktatur, verbunden mit einem Sicherheitsregime . Hier würde irgendwann der reiche Norden dem armen Süden die Entwicklung verwehren, so wie die Reichen den Armen gerne die Entwicklung verwehren, einfach deshalb, weil es in einem "Business as usual"-Ansatz ökologisch nicht auszuhalten wäre, wenn die Armen täten, was die Reichen schon immer tun . Hier müssten dann insbesondere die Reichen die Entwicklung der ärmeren Länder behindern oder diese Länder sogar destabilisieren. Und da die reichen Länder allesamt Demokratien sind, stehen wir vor der Frage, ob so etwas denkbar ist.

Sieht man sich die Politik der letzten Jahre an, insbesondere die Politik der USA seit dem 11.09.2001 und die Politik in Israel seit der Regierungsübernahme von Premierminister Scharon , dann sieht man bereits ganz offensichtlich Elemente einer solchen ökodiktatorischen sicherheitsorientierten Strategie . In Israel ist dies in besonderer Weise zu verfolgen in der dauernden Zerstörung der Infrastruktur der Palästinenser durch das israelische Militär und beispielsweise in der Vorenthaltung medizinischer Hilfe für schwer kranke Palästinenser. Konkret durchgesetzt wird dies beispielsweise durch die Verhängung von Ausgangsverboten und durch die Verweigerung des Durchlasses von Krankenwagen in Richtung Krankenhäuser an Kontrollpunkten. Dies wird beispielsweise von Seiten medizinischer Hilfsorganisationen, die in den Palästinensergebieten tätig sind, dauernd als skandalös beklagt. Es ist nach Aussage dieser Nichtregierungsorganisationen geradezu eine Ungeheuerlichkeit, was da täglich vor den Augen der Welt ohne vernehmbare Proteste der demokratischen Staaten stattfindet.

Auf der US-Seite ist die Verweigerung, sich fair in den Kyoto-Vertrag einzubringen, entlarvend. Noch deutlicher gilt dies für den fast obsessiven Kampf der USA gegen einen Internationalen Strafgerichtshof . Symptomatisch ist die regelmäßige Weigerung der USA, sich im Rahmen fairer globaler Verträge zu bewegen, und ebenso eine dauernde Einforderung spezieller, stark individuell-orientierter Menschenrechte in armen Ländern, die dies alles nicht bezahlen können und die Bekämpfung bevölkerungspolitischer Maßnahmen der Vereinten Nationen durch die USA . All das erschwert natürlich Entwicklung. Am wenigsten akzeptabel ist aber das dauernde Beharren der USA auf dem Recht, alleine entscheiden zu dürfen, ob eine Aggression vorliegt, gegen die sie präventiv operieren dürfen. Dies führt zu Willkürentscheidungen aus Sicht der Betroffenen. Im Moment ist dies sehr gut zu beobachten in der Entwicklung der Irak-Krise, so, wie das oben bzgl. des Vergleichs mit Israel hinsichtlich der Nichtbeachtung von UN-Sicherheitsratsbeschlüssen und daraus abgeleiteten Konsequenzen bereits thematisiert wurde.

Ein ökodiktatorisches Sicherheitsregime ist massiv asymmetrisch . Man muss sich nicht wundern, dass die arme Seite, die der Willkür des Stärkeren ausgesetzte Seite, die schwache Seite, dieses nicht als gerecht empfindet und sich irgendwie zur Wehr setzt. Und wie kann "David" sich gegen "Goliath" zur Wehr setzen? Das führt dann zu Terror und noch mehr Terror, der dann mit noch mehr staatlichem "Gegenterror" beantwortet wird, gegen den neuer Terror folgen wird, z. B. in Form von Selbstmordattentaten . Dies ist eine Form der Gegenwehr, die sehr schwer zu bekämpfen ist. Sie setzt voraus, das Menschen ihr Leben für eine Überzeugung hinzugeben bereit sind . Wie falsch muss eine Welt organisiert sein, zu wieviel Hass muss eine Weltordnung Anlass bieten , wenn sie solche Reaktionen hervorruft? Und gibt es daraus nicht etwas zu lernen, z. B. über Verletzungen, die man anderen - vielleicht unbewusst und unbeabsichtigt - zugefügt hat?

Der reiche Norden muss sich jedenfalls überlegen, ob er den momentanen Weg der Entfesselung weiter gehen will, oder ob nicht das europäische Modell des Ausgleichs in Form einer weltweiten

Ökosozialen Marktwirtschaft die bessere Alternative ist. Diese kostet 1 bis 2 % des Weltbruttosozialprodukts als Co-Finanzierung von Entwicklung in Form eines Welt-Marshall-Plans , wie ihn z. B. auch der frühere US-Vizepräsident Al Gore vorgeschlagen hatte. Im Grunde genommen ist es erstaunlich, wie preiswert bei intelligenter statt rechthaberischer Vorgehensweise eine Chance auf Frieden eröffnet werden kann. Noch erstaunlicher ist es allerdings, welcher intellektuelle Aufwand von Seiten der größten Gewinner der heutigen deregulierten Strukturen der Weltökonomie betrieben wird, diesen Preis nicht zu zahlen, und welche Bereitschaft da ist, die entsprechenden Mittel lieber in immer noch mehr Aufrüstung zu stecken statt in humane Entwicklung rund um den Globus.

Ökosoziale Marktwirtschaft als einzige Chance

Offensichtlich ist, dass heute die Hoffnung für eine bessere Zukunft und eine nachhaltige Entwicklung primär bei Europa und den entwickelten asiatischen Volkswirtschaften liegt. Wir müssen miteinander die USA für eine andere Sicht der Dinge gewinnen. Deshalb müssen wir insbesondere bereit sein, darüber zu reden, dass bestimmte Dinge richtig und bestimmte Dinge falsch sind, damit wir nicht durch dauerndes Schweigen den Eindruck erwecken, als würden wir implizit zustimmen an Stellen, an denen wir gar nicht zustimmen können. Hier hat auch die Weltzivilgesellschaft , hier haben NGOs wie Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen, BUND, Greenpeace, Stiftung Weltbevölkerung, Terres des Homes etc. oder auch die Rotarier, Lions und andere Servicebewegungen einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Weltmeinung. Eine große Hoffnung bilden in diesem Kontext auch die neuen informationstechnischen Vernetzungsmöglichkeiten der Weltzivilgesellschaft, die immer effizienter genutzt werden. Wenn es hierbei in dem Ringen um eine bessere Weltordnung auch nur gelingt, in einem Schneeballsystem pro Jahr immer wieder eine weitere Person zu gewinnen, die für eine neue, bessere Weltordnung eintritt und zugleich pro Jahr immer wieder eine weitere Person mit derselben Art zu denken dazu gewinnt und so weiter, hat man in dreiunddreißig Jahren in einem Schneeballsystem jeden Menschen erreicht, da 2 33 gleich acht Milliarden ist . – Und die Überzeugung einer Person pro Kopf und Jahr, das sollte doch bei einem so wichtigen Thema zu schaffen sein.

Politisch lastet in dieser Lage heute auf Europa eine besondere Verantwortung. Deshalb war die Einführung des EURO so wichtig. Deshalb ist der weitere Ausbau der EU wichtig. Deshalb ist die Stärkung der EU wichtig. Und das müsste in dieser schwierigen Welt sogar hingehen bis zu einem Ausbau der militärischen Stärke der EU , um in diesen zentralen Fragen der Weltordnung eigenständig agieren und auf gleicher Augenhöhe mit den USA sprechen zu können.

Ist die Ökosoziale Marktwirtschaft eine Chance oder eine Utopie ? Für eine friedliche nachhaltige Zukunft ist sie wahrscheinlich die einzige Chance, die wir haben und die vielleicht beste je gemachte Innovation im politischen Bereich, nämlich die Kopplung vernünftiger Ausgleichsmechanismen und strikter Umweltschutzmaßnahmen mit der Kraft der Märkte und dem Potential von Innovationen. Man kann nur hoffen, dass Europa, ein Kontinent mit einer schwierigen Historie und noch nicht abgeschlossener Selbstfindung, in dieser schwierigen Phase der Weltpolitik in der Lage ist, die Verantwortung zu übernehmen, die in diesem Moment auf diesem Teil der Welt lastet.

(Quelle: www.globalmarshallplan.org)



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